Sprich zu mir, du alter Baum,
erzähl mir vom Schlagen der Nachtigallen,
vom rätschernden Ruf des Eichelhähers,
dem Späher der Bemoosten
und Wächter des Forstes.
Alter Baum, erzähl mir von rauschenden Röcken,
deren Säume sich im Unterholz verfingen,
wenn sie dir nähertreten wollten,
erzähl mir von Tränenmeeren und Liebesschwüren,
von der Verzweiflung der Ameisen,
wenn sie haufenlos geworden,
von den durchwurmten Verwerfungen
an deinem Fuße.
Eiche, mein, lass deine knorrigen Äste sprechen,
lass mich unter die aufgesprungene Borke linsen,
offenbare mir dein größtes Geheimnis
der Vergangen-Zeit.
Erzähl mir vom Vergehen und vom Werden,
vom Aufbäumen deiner Spitzen,
vom Aufbegehren deiner Zweige
an jenem blutheißen Tage.
Berichte mir Stunde um Stunde
vom Streunen der Schutzlosen,
die Obdach bei dir suchen
und fluchen über das Knacken der Gedanken,
von den leeren Knoten der Lebensmüden
und Todessehnenden,
von geritzten Namen,
die längst überwuchert.
Baum, oh Baum,
lass mich nisten in dem Gestrüpp unweit
deiner Jahresringe,
lass mich bereift den Anblick des Tages erleben,
der Suche des Eichhorns folgen,
dem gespannten Sprung eines
Luchses in der Dämmerung,
lass mich beim Anblick eines Regenbogens
vergehen und im Werden Deiner Geschichten
neu entstehen.
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Viel Text und soweit ich das beurteilen kann, ist dir der Versuch gelungen. Den Stil findet man heute nicht mehr so häufig in Gedichten, aber ich spreche ja häufig mit Gegenständen und allem, was angeblich tote Materie ist.
Jedenfalls: Wunderbar gemacht!
Sirius
Reset the World!
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Lieber Sirius,
Vielen Dank für deinen Kommentar... tatsächlich ist die Form angeblich gar nicht so alt, aber ich weiß herzlich wenig darüber und bin ganz wissbegierig...(https://www.geisteswissenschaften.fu-ber...ando/index.html)
Ja, ich rede gerne mit allem, was mich umgibt und vieles ist lebendiger als wir denken...
Allerbeste Grüße!!
vom Ännchen
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Das hat eine beeindruckende Fülle, liebe Ann. PARLANDO, das musste ich erst ergoogeln, mir war nur das PARLEZ der Piraten des 18. Jhd.s bekannt :). Parlando, eine Art Sprechgesang u. a. in der Oper. Lebt vom Rhythmus, POETRY SLAM also. Oder: RAP.
Zitat von Frollein a. im Beitrag #3
Ja, ich rede gerne mit allem, was mich umgibt
Zitat von Frollein a. im Beitrag #1
Vergangen-Zeit.
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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