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RE: Die Galatabrücke

#1 von Karl Ludwig , 27.04.2016 11:28

Ich liebte Dich, ohne es zu wissen. Und nun bist Du schon lange nicht mehr. Du starbst 1992 bei einem Brand. Aber, als ich noch ein Kind gewesen war, legten hier, an Deiner unteren Etage, die Schiffe an, welche uns morgens von den Prinzeninseln nach Istanbul zur Schule brachten und später natürlich auch wieder zurück.

Zwei Etagen höher führten 6 Autospuren und zwei breite Fussgängerborde den Verkehr über die Mündung vom Goldenen Horn, in der dazwischen liegenden waren wohl Maschinenräume, Werkstätten und Brückenmeisterei untergebracht.

Du warst nicht schön. Das hattest Du auch gar nicht nötig. Dein Geruch war manchmal wirklich äusserst gewöhnungsbedürftig. (Achtung: 'Gelegendliche Gewöhnungsbedürftigkeit' ist irgendwie paradoxig, vermutlich nennt man so etwas disjunkt oder so). Deine Schminke bestand zum größten Teil aus Rost. An Deinen Pontons beschwämmten Dich oft, je nach Windrichtung, Säume aus toten Tierkadavern, leeren Obstkisten, faulem Gemüse, schillernden Treibstoffresten, Fäkalien, alten Zeitungen und ähnlichem Unrat ... Am Algenbewuchs der Uferpfeiler konnte man den geringen Tidehub ablesen. Manchmal wurdest Du in der Mitte aufgeklappt um größere Schiffe durchzulassen.

Du warst so selbstverständlich! Angler lehnten an den Brüstungen, Obst- Fisch- Fleisch- Gemüsehändler boten ihre Waren an, unlizensierte mobile Kaufleute Markenarmbanduhren und -sonnenbrillen, immer auf der Hut vor der Polizei.

Wir Kinder kauften unsere Mickey-Mouse bei einem alten, vermutlich ziemlich schmutzigen Mann, der uns dafür manchmal einen Blick in schlecht gemachte Pornoheftchen werfen ließ. Dankbar, wie wir Kinder damals noch von Natur aus nun mal waren, hinderte uns dieses Entgegenkommen aber nicht daran, 'Fix und Foxi' Heftchen in 'Mickey-Mouse' Magazinen zu verstecken - und selbstverständlich auch nur diese zu bezahlen.

Mit dem gesparten Geld konnte man sich nun ein 'Gazoz' (Herrlich chemisch schmeckender Zuckerwassersprudel) leisten, kandierte Äpfel, Zuckerwatte oder panierten, frisch frittierten fangfrischen Fisch in Weißbrotviertel. Aus blau gestrichenen kleinen Booten wurde er verkauft, aromatisiert durch die Druckerschwärze der Zeitungen, in welche das 'Baguette ala Mustafa' gewickelt wurde. Frisches Brot und frischer Fisch. (Vermutlich in Altölresten gebacken) Dazu Hafengeruch, Fähren, Jachten, Kreuzfahrtschiffe, Segelboote und oft auch ein amerikanischer Flugzeugträger, wegen der Zypernkrise...

Bei Ostwind war das Ablegen der Passagierschiffe ein abenteuerlicher Vorgang. Breitseitig in den Wind sich frei zu schiffen erfordert höchste Präzision und gar manche Beule zeugte auch von etlichen unpräzisen Versuchen. Der Wind hatte fast das ganze Marmarameer für den Anlauf gehabt und wollte nun unbedingt beweisen, dass auch kleine Meere große Wellen schlagen können. Wir saßen im Bug und genossen dieses aufregende Geschaukel, hui hoch und hui runter, denn, ehrlich gesagt, ist das Marmarameer zu klein. Nicht nur für ordentliche Ebbe und Flut, sondern auch für Wasserhosentornados, Wale, Skorbut, Atlantis, Tsunamis, Kraken...

Dieses pralle, ca. 800 Meter lange, selbstverständliche Gewusel über drei Stockwerke. Ich habe wenige Orte gesehen, die dermaßen vor Lebensenergie (-freude) strotzten. Sogar die seltenen Bettler schienen voller Optimismus zu stecken. Und dann diese Enge vor den, mit Gittertoren geschlossenen Anlegern. Das Gequetsche wenn wir uns durch die, von wichtigen Männern mit pfundschweren Schlüsseln geöffneten Eingänge drückten, zum 'Ekspress', der 45 Minuten bis 'Büyük Ada' benötigte, statt über eine Stunde 30 Minuten, wie das erheblich langsamere 'Vapur'.

Viele Erinnerungen! Zum Beispiel vergaß ich die 'Yo?urtçular'. Das waren Büffeljoghurt verkaufende Händler, die laut: "Hakiki Manda Yo?urt" rufend, mit ihren zwei flachen, an Schulterstangen hängenden Schalen, welche durchaus über einen Meter Durchmesser haben konnten, durch die Menge eilten und die nie mit den 'Simitçiler', den Sesamkringelverkäufern zusammenstießen, welche geschickt ihre Waren, zu kunstvollen Türmen gestapelt, auf den Köpfen trugen. Die Menge selber bestand aus gutmütigen, zielstrebig eilenden Türken, Griechen, Armeniern, Russen, Franzosen …

Und die Wasserverkäufer mit ihren silbernen, kunstvoll bearbeiteten Kanistern auf dem Rücken, und einem geschickt angebrachten Ausguss, der eiskaltes Wasser in ein hingehaltenes Glas fließen ließ, wenn der Verkäufer sich etwas vorbeugte.

Und die wartenden Träger zusammen mit ihren lederbezogenen Tragesatteln. Sie konnten/fanden keine andere Arbeit und schleppten Konzertflügel stolz durch zu enge Treppenhäuser in den sechsten Stock.

Und natürlich die 'Boyacilar', die Schuhputzer hinter ihren prächtigen, Kupfer und Messing beschlagen Kästen, die aufmunternd mit den Griffen klopfend auf ihre Vakantität hinwiesen.

Du, meine geschönte Erinnerung einer vergangenen Selbstverständlichkeit, Du, weißt Du überhaupt, dass ich Deinen Geruch immer noch heraufbeschwören kann, wann immer ich es will? Und für einen kleinen Moment erkenne:

Manchmal ist die Erinnerung an Etwas wertvoller als das Etwas selber.

Hält oft auch länger...


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RE: Die Galatabrücke

#2 von Jonny , 27.04.2016 19:12

Eine sehr schöne Erzählung, klsa.
Mit vielen lebendigen Erinnerungen versehen.
Die letzten vier Zeilen, ich meine den Schluss deiner Erzählung, die gefallen mir sehr.
Ein schöner Abschluss, mit Tiefe.
Und die Bilder, welche du aufleben lässt, haben sofort mein Fernweh geweckt...

 
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RE: Die Galatabrücke

#3 von Sirius , 27.04.2016 19:15

Eine herrliche Stimmung hast du verbreitet mit deinen schönen detailreichen Erinnerungen, guter klsa.
Und so lebhaft und bildlich hast du alles geschildert, direkt zum Miterleben.
Große Klasse!

Sirius


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RE: Die Galatabrücke

#4 von Karl Ludwig , 27.04.2016 19:24

Danke.


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