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RE: Die Volksbefragung

#1 von Karl Ludwig , 03.03.2017 07:56

In diesem Fall hielten sich die organisatorischen Probleme in überschaubaren Grenzen. Das Volk, das Kabinett, der Kaiser und sogar die halb assoziierten Fremdlinge setzten sich an eine Tafel um gemeinsam etwas an der Verfassung zu feilen. Nun ja, der Finanz-, die Familien- und Gesundheitsminister mussten am Katzentisch Platz nehmen.

Möglich geworden war dieses kurzfristig anberaumte Treffen nur wegen der Tatsache, dass es sich um einen Ein-Personen-Staat handelte. Alle Mitwirkenden waren Sekundärpersönlichkeiten des multiphrenen Chronisten, jede Altersstufe war vertreten, hässliche Fratzen aus der Verdrängungszone grinsten subversiv, gute Intentionen krochen zögernd zwischen den Teilnehmern hin und her, wie Raupen auf Valium, naive Gläubige und abgebrühte Zyniker musterten sich gegenseitig mit geringer Sympathie, der weibliche Anteil hatte sich schnatternd in die Küche verzogen, - die Damen wollten das Ergebnis gar nicht erst erfahren.

Denn die Frage, welche zur Abstimmung auf der Tagesordnung stand lautete unoriginell klassisch: Was darf ein Mann vom Leben erwarten? Was ist wichtig! Jeder durfte seine Meinung vertreten, sofern er nicht die Redezeit überschritt. Schön dem Alter nach.

„Räbäh!“ Eine Frau wurde aus der Küche geholt und die übersetzte: „Liebe, Milch, Geborgenheit.“

Erstaunlich! Die nächste Person konnte schon reden: „Liebe, Fruchtsaft, Geborgenheit, Bauklötzchen.“

Und so ging es weiter: „Sex, Bier, Sportschau. Wahlweise auch Sex and drugs and Rock'n'Roll für die Musiker.“

„Familie, Magentabletten, Karriere.“

„Der Schrei des weißen Adlers, der unter den Wolken kreist, und ein spitzer Pfeil auf der Sehne.“

Die anderen schauten verständnislos. „Ja, und der Anblick eines erschlagenen Feindes, das Jammern seiner Frauen.“

Man entzog diesem Barbaren sofort die Stimmberechtigung und schickte ihn in die Küche, den Frauen beim Kartoffelschälen zu helfen.

„Unbegrenzten Zugriff auf sämtliche Knallstoffe.“ Fast alle Anwesenden nickten verständnisvoll, nur ein moralinsaurer Opportunist verzog etwas sein Gesicht. Aber auch nur etwas.

Und nun blickten sie ehrfürchtig auf den weisen Ältesten. Die Einschusslöcher in seinem Hemd zeugten von einem aufregendem Leben als Gewinner, obwohl, aber das bleibt jetzt unter uns, es sich doch eher nur um Brandlöcher handelte. Entfleuchte Zigaretten aus komatösen Händen. Aber Pscht!

„Hä?“

„Opa, was darf ein Mann vom Leben erwarten?“

Tiefes Denken überzog das alte Gesicht mit neuen Furchen. Dann, nach einer angemessenen Pause: „Gute Schahnärschte, weisches Toilettenpapier und warmen Grieschbrei. Und eine möglischst häschlische Krankenschfeschter.“

Aus der Küche übertönte ein ungehobelter Kerl das Gemetzel an den Kartoffeln: „... und ein Hämorrhoidenring für den Sattel. Harr, harr, harr!“, doch das hatte nichts zu sagen.

Die Meinung vom Opa fand man allgemein nachvollziehbar, aber wenig perspektivistisch. Man einigte sich auf das unveräußerliche, gottgegebene Recht auf Knallstoff. Natürlich nicht für die Kinder. Aber auch für Opa.


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RE: Die Volksbefragung

#2 von Richard , 03.03.2017 13:06

Bei der heiligen Hundsfott, was bin ich froh, wenn ich mal so alt bin wie uns Karlchen und so schön entspannt schreiben kann. Wegduck. Knallstoff, jau! Mein Oppa Willi trank immer diesen Leinsamenschnaps, den Omma Friedchen ihm überpünklichst um 18 Uhr hinstellen musste. Dazu ein, manchmal zwei Krombacher, fertig. Ach so, und das Abendbrot natürlich .. von ihm habe ich übrigens diese Makrelensucht!

 
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RE: Die Volksbefragung

#3 von Karl Ludwig , 03.03.2017 14:48

Ach, in Wirklichkeit schreibe ich gar nicht so locker und entspannt. Es ist eher eine Art Morgengymnastik, zu der ich mich überreden muss.

Mein Großvater hatte seinen Frühschoppen (erst nur einmal die Woche, später täglich), Klosterfrau Melissengeist war auch häufig im Küchenschrank. Meine Mutter und mein Stiefvater schluckten regelmäßig Schlaftabletten, Hypnotika, Mogadon, ein echt äußerst gleichgültig machendes Medikament. Alkohol und Zigaretten. Meine Stiefgroßtante freute sich abends schon auf den wohlbemessenen Schluck Raki aus dem Stahlschrank,

Früher hatte jeder Bauer seinen Knaster, Babys wurden mit Mohnsaftschnullern ruhig gestellt, ja und Bier wurde auch angeblich deswegen wie doof gesoffen, weil das Wasser oft verseucht war.

Es scheint, dass der Mensch seine Auszeiten benötigt. Nicht nur um das Leben zu ertragen, sondern auch um es zu bereichern. Bei mir trifft beides zu. Die Droge 'klarer Kopf' ist mir einfach zu heftig. Die Wirklichkeit bietet ja auch wenig Grund, sich wohl zu fühlen.


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