Früher..
Letzte Nacht habe ich von einem Lied geträumt. Den Traum selber habe ich vergessen.
Ich mag das Lied. Lieder begleiten einen durch das Leben, ich kann zu jedem Lebensabschnitt ein oder mehrere Lieder nennen, die mich begleitet haben, an die ich mich erinnere.
Der Song im Traum war „Ein bißchen Glück und Zärtlichkeit“ von Gilbert Becaud. Kein Liebeslied, ein Mutmachlied, ein Kumpellied, ein Fremder, der einen Fremden einlädt, Hoffnung gibt.
Die süßesten Lieder stammen aus den bittersten Zeiten. Aus Zeiten, in denen die Tränen einfach in ein Gedicht tropften. In denen das Herz still und geduldig zwischen den Zeilen wartete.
Immer war ein Lied in mir, eine Melodie, die die Traurigkeit anzog, die wärmte, wenn sich die Seele durch den kalten Alltag schlich. Worte und Texte vergesse ich schon mal, Lieder nicht. Etwas, dass man für sich hat, um das man nicht bitten muss.
Als ich jung war, hatten Songs noch eine größere Bedeutung. Kein Kaufhausgedudel, keine Charts, kein ordinäres Rap-Gestammel, nicht dieser Geifer nach Profit hinter jeder Note, kein YouTube, keine Computermusik. Die Menschen hörten Musik in Radios und auf Schallplatten, nicht auf Ohrsteckern. Und sie hörten sie gemeinsam in Jukeboxen, sie tanzten miteinander. Es gab ein Respekt zu den Dingen, zwischen den Menschen, man verprasste die Welt nicht einfach, man achtete sie.
Wir warfen mit Sternen nach uns, und sie brannten auf der wachgeküssten Haut.
Und alles hatte seine Zeit. Die Amsel sang im März und nicht schon am 1. Februar. Die Menschen wären erschrocken gewesen. Heute sind sie gleichgültig und A-m-s-e-l musst du buchstabieren.
Früher brachte man keine Kinder um und nannte das Politik.
Früher war mehr Mensch. Man arbeitete länger und hatte weniger Freizeit und man wusste um die Kostbarkeit der Zeit. Früher war nicht alles besser, aber anders. Früher war mehr DU in uns und weniger Ich.
Die Bäume schliefen am Ufer und schenkten dem Wasser goldene Blätter. Nicht eingezäunt als Stadtplaners Zier. Wir haben die Dinge vergessen, die wichtig sind. Wir glauben an unsere eigene Wichtigkeit in dieser schreienden Welt.
Wer hat bloß alle überzeugen können, dass es schlecht ist, mit einem Bier und einer Zigarette in der Hand an der Musikbox zu stehen, eine Mark reinzustecken und die 428 zu drücken..
Sirius
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Das klingt nach, Sirius.
Selbst noch nach dem zweiten Lesen.
Mir gefällt dein nachdenklicher Text. Weil er so ehrlich ist.
Jonny
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Die Früherzeilen kann ich nur unterstreichen, Sirius!
Ein wunderbarer Text!
Zitat von Sirius
...Wer hat bloß alle überzeugen können, dass es schlecht ist, mit einem Bier und einer Zigarette in der Hand an der Musikbox zu stehen, eine Mark reinzustecken und die 428 zu drücken...
Ich war's nicht!
Aber mal im Ernst. Was würde denn beim Kneipenjukeboxzigarettenbierevent die Gesundheitsüberwachungsapp an die Krankenkasse melden? Schließlich muss Vater Staat sich ja darum kümmern, dass sich sein Humankapital gesund krankarbeitet.
Liebe Lottegrüße
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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Ganz lieben Dank euch beiden! Ehrlich gesagt habe ich gar keine Ahnung, ob es heutzutage noch Musikboxen in den Kneipen gibt. Und mit Schallplatten ohnehin nicht. Seufz.
Sirius
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