Im Harz gibt es unerforschte Gebiete, die in keinem Landkartenwerk auftauchen. Um eventuell skeptisch anmutende Hinterfragungen im Vorfeld zu beantworten: Natürlich steckt schon wieder ein Phänomen dahinter. Diesmal ein lahmes Unschärfewunder a la Heisenberg. Der enorm ungenaue Trampelpfad, welcher zu der Lichtung führt, auf welcher folgende Ereignisse passieren und die hier näher geschildert werden sollen, wird einfach von keinem Landvermesser oder Wanderer wahrgenommen.
Wir aber blicken so lange konzentriert auf eine bestimmte Stelle, bis der Wegverschluss nicht mehr weiß, wo er sich quantenmechanisch befindet, und dann aus Angst, sich später nicht mehr daran zu erinnern, ein semikonkretes Abstraktum zu sein, deutlich erkennbar wird.
Wir schlängeln uns die Serpentine entlang (passt bloß auf, ist glitschig und vage).
Die Landschaft öffnet sich und bietet uns ein nettes, größeres Tal an. Mit einem Fachwerkhäuschen, aus dessen Schornstein Rauch kringelt. Ganz klar. Hier ist es innen größer als von außen. Das alles deutet doch auf Magie hin.
Wir nähern uns unbemerkt und betreten das Häuschen (Die Lebkuchentür finden wir geschmacklos, aber es bilden sich gewisse Vorstellungen heraus, was hier wohl los sein könnte).
Seltsame Geräusche dringen durch die Hinterpforte am Ende des Flurs. Wir schleichen uns näher heran und blicken durch den Weitwinkeltürspion. Ein junger Mann hebt im Garten ein Loch aus. Mit einem Lochspaten? Nun, vielleicht will er einen Brunnen graben. Das sieht allerdings nach Arbeit aus; schnell betreten wir den nächst gelegenen Raum und bereuen es sofort. Es handelt sich um ein Sterbezimmer und ein sympathisch wirkendes Mädchen beugt sich über ein hageres, ziemlich fertig aussehendes Männchen, welches gerade seine letzten Worte spricht:
„So denn mein Sohn nicht bei mir ist in meiner letzten Stunde, will ich dir meinen Zauberstab vermachen, obwohl eine Hexenmeisterin gegen alles Brauchtum verstößt. Das Handbuch findest du, wenn d … ächts, … pfffffft …“
Ein Sensenschnitt verhindert weitere letzte Worte. Empört wendet sich die Erblastempfängerin an das nun sichtbare Gerippe (Als frisch gebackene Magierin kann sie den Tod erkennen):
„Hättest du nicht noch eine Sekunde warten können?“
„Und meinen Ruf, stets pünktlich zu sein, aufs Spiel setzen? Übrigens habe ich genau registriert, wie du deinen Bruder ausgebootet hast.“ Zitiert: „Grab schon mal das Grab. Tote Magier werden senkrecht mit dem Kopf nach unten beerdigt.“
(Das hat Tradition, auch wenn sich niemand mehr an den Grund erinnert. Ein fehlender Grund aber ist ja noch nie ein Grund gewesen, an Traditionen Veränderungen vorzunehmen.)
„Mein Bruder ist zu sensibel um die Familienehre zu wahren.“
„Ach? Und du merkst nix?“
„Doch, schon. Zum Beispiel jetzt gerade ganz großen Groll. Wie bedient man dieses Ding?“
Merlina schüttelt versuchsweise den Zauberstab; einige murmelgroße Kürbisse kullern durch den Raum.
Grinsend entfernt sich Tod. Die Seele nimmt er mit. Nun, einem Knochenschädel bleibt ja nichts anderes übrig als zu dauergrinsen. Kaum einer seiner Kunden allerdings findet das lustig.
„Wir treffen uns wieder.“ Ein kleinerer Donnerschlag begleitet seine unheilvolle Ankündigung.
Das Handbuch findet sich schließlich doch noch. Es liegt unter einem Bein vom Küchentisch, was auf eine gewisse Geringschätzung hindeuten könnte, – oder aber auch nicht. Immerhin ist ein stabiler, nicht wackelnder Küchentisch von Vorteil, wenn man grüne, blubbernde Flüssigkeiten aus Krötenschleim und Fledermausblut zusammen mischt.
'Drehe an den Ringen mit den unsichtbaren Runen, bis Dein Name erscheint. Sprich laut und deutlich und deute mit dem Stab in die ungefähre Richtung, in welche deine Magie wirken soll. Und sei vorsichtig, wenn Du Kausalitäten aus ihrem Determinismus reißt. Die Ergebnisse sind manchmal verblüffend.'
„Wo sind denn hier die unsichtbaren Runen?“
Der Zauberstab erzittert und gibt eine Art Zahlenschloss zu erkennen.
„Toll. Hey, Briederchen, reich mir mal den Übersetzer. So: Entenfuss mit drei Zehen, durchgestrichener Strich, Dreiecksfahne mit Kurbel, Spazierstock mit Griff, Spazierstock ohne Griff, Wasserhahn.“
„Bitte?“
„Neurunisch. Immerhin befinden wir uns im Jahr der Schielenden Schleiereule.“
„Im Jahr des Einbeinigen Weltenschlange!“
„Wie auch immer.“
„Meep-meep-meep. Ich bin einsatzbereit.“
Merlina stochert drohend in allen vier Himmelsrichtungen herum und nimmt dann eine Haltung ein, die jeden Torero beim anvisierten Todesstoß beschämt hätte.
„Jetzt wird die Welt verbessert, egal ob ihr das passt oder nicht. Zuerst: Alle bösen Bomben sollen verschwinden.“
Keine drei Stunden später erklären sich China, Russland, USA, Australien und der Vatikan den Krieg.
Also muss Merlina nun alle Bio-, Chemie-, Schusswaffen und Kanonen unschädlich machen.
Das wiederum führt zu handgefertigten Massakern rund um den Planet. Und wenn sie alle scharfen Gegenstände verbannt?
Sie kommt gar nicht dazu, endlich die Wale und die Urwälder nachhaltig zu schützen. Auch gegen Feinstaub aktiv zu werden ist ihr aufgrund der ständigen Inanspruchnahme unmöglich.
Sie erzaubert sich Millionen von Avatars, welche sie den Menschen als Aufpasser zur Seite stellt, damit diese keinen unmenschlichen Mist mehr aufkochen. Das verstößt eindeutig gegen jedwelche Datenschutzbestimmungen. Aber sie ist nicht mehr zu bremsen. Die Menschen müssen doch fähig sein ihr biologisches Erbe zu überwinden – hofft sie immer noch, trotz aller Gegenbeweise.
Also beschließt Merlina, nun drastischere Maßnahmen zu ergreifen. Sie entfernt genmanipulativ diesen miesen Aggressionstrieb aus den Menschen, woraufhin diese völlig friedlich aussterben.
Gott oder wem sei Dank. Es gibt einen Resetknopf. Schaut doch nach. Alles wieder wie gehabt. Na, wenn das kein Beweis ist.
Ich hoffe, Ihr glaubt mir. Ich kann 's nämlich einfach nicht.
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Ich glaube dir jedes Wort, Karl-Ludwig! Nur, den letzten Satz nehme ich dir nicht ab.
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morgen lächelt sie zurück.
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Ich möchte auch als Magier mit dem Kopf stehend nach unten begraben werden, falls ich mit dem Kopf oben hängend, gefunden werde, was nicht mehr lange dauern kann. Wahrscheinlich spricht das aber gegen die Friedhofsordnung der Ausgestossenen, und ich komme einfach nur senkrecht in den Sondermüll.
Ich finde es toll, dass Merlin ein weibliches Pendant hatte, nur schade, dass die zu dämlich zum Zaubern ist und nur Mist macht. Immerhin hat sie flächendeckende Dummheit gebracht, die man in dem Maße gar nicht vermutet hätte.
Dafür darf sie dann auch senkrecht beerdigt werden, ich schaue auch erst, wenn das Grab zu ist.
Der Witz hat mir wieder gefalllen, der Wortwitz, deine penible Vermeidung der einfachen Sprache, und dass du dir treu bleibst und dir selbst nicht glaubst.
Aber das machen wir ja für dich.
Klasse!
Sirius
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