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Das Buch, in dem man wohnen will

#1 von Sirius , 23.07.2020 17:28

Roman "Das Gartenzimmer"
Das Buch, in dem man wohnen will

Andreas Schäfers Roman "Das Gartenzimmer" spielt in einem unheimlich schönen Haus. Einer Raumwerdung dessen, was unsagbar ist. Die Frage ist: Wo steht es?

Wer sich auf der letzten Seite nicht graust vor diesem Ort des Bösen, in dem die mit botanischer Leidenschaft gläserweise gesammelten Augen toter Kinder die Buchregale füllen, hat kein Herz. Es ist die Zeit des Rasse-Irrsinns, die NS-Zeit. Die Regale des Terrors beheimaten, nur ein Stockwerk über der bestialischen Kinderaugensammlung in der alten Villa, auch die Werke der Philosophie - als Blaupausen einer besseren Welt. Und wer sich bis dahin, bis zum Ende des Romans, der von der Weimarer Zeit über die tausend Jahre der Nationalsozialisten in die Gegenwart ragt und dieses bipolar gestörte Jahrhundert durch die Verortung in einem Landhaus anschaulich werden lässt, noch nicht verliebt hat in die Villa als Hort der Schönheit, der ist ohne jeden Verstand.

Der hat keinen Sinn für den Garten der Robinie und die Terrassenbeete voller Anemonen und Narzissen, für Loggia, Stützmauer, Giebelfront und das Walmdach, das wie ein eingelöstes Versprechen wirkt. Der ahnt auch nicht, warum sich Menschen verlieben können in eine Dingwelt als Archiv der Träume und als Habitat des Seins - und in den honiggelben Handlauf eines Treppengeländers, der all das birgt, was hier je Halt gesucht hat.

Manchmal ist man melancholisch gestimmt in diesem Roman eines Hauses, das viel mehr verborgene Zimmer als gedacht und viel mehr geheime Flure als geplant zu haben scheint; das bisweilen an ein sentimentalisches Gedicht von Doderer erinnert ("viel ist hingesunken uns zur Trauer") und einen zugleich aufspringen lässt vor euphorisierender Zukunftslust. An einem Ort, der Erwartung und Erinnerung in einem ist, ist es auf einer der letzten Seiten in diesem fulminanten Roman das Haus selbst, das spricht. Einmal mehr soll es, gelegen am Rande des Grunewalds in Berlin, verkauft werden: "Denkmalgeschütztes Kleinod der Vormoderne. 280 Quadratmeter, 8 Zimmer. Baujahr 1909."

Weiterlesen:

https://www.sueddeutsche.de/kultur/andre...ritik-1.4974087


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Sirius
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