LOLA LAFON: „Komplizinnen“
Wie ein eingewachsener Splitter
Ein Leben aus Nacht und Neuanfang: Lola Lafon erzählt in ihrem Roman „Komplizinnen“ von sexuellem Missbrauch in der Tanzausbildung.
Pygmalion ist eine von vielen Figuren der antiken Mythologie, die aus MeToo-Sicht suspekt erscheinen: Der Bildhauer verliebt sich in sein Werk, eine Elfenbeinstatue, und wünscht sich von Venus eine solche Frau. Er wird erhört, die Statue belebt sich unter seinen Liebkosungen, „und zugleich mit dem Himmel erblickt sie den Mann, der sie liebt“ (so heißt es in Ovids „Metamorphosen“). Die Frau als Geschöpf männlichen Begehrens – Jean-Jacques Rousseau, Autor eines Pygmalion-Melodrams, tauft es auf den Namen Galathée.
Als Fondation Galatée tritt in Lola Lafons Roman „Komplizinnen“ ein Kreis von reichen älteren Männern auf, die jungen Mädchen aus einfachen oder schwierigen Verhältnissen Stipendien versprechen und deren „Reife“ bei intimen Mittagessen testen. Wenn die Statue Ovids auf den zweiten Blick mehr ist als ein männliches Phantasma, nämlich eine Parabel auf die Macht der Kunst, werden bei Lafon die Mädchen zu Statuen, brutal eingefroren im Alter von dreizehn Jahren, missbraucht beim ersten Versuch, eigene Träume zu verwirklichen.
Dieses heikle Thema geht Lafon klug an. Sie baut ihren Roman um ein Mädchen aus einem östlichen Pariser Vorort auf: Cléo, die Tänzerin werden will. Sie trainiert im Jugendzentrum Jazztanz und wird von der eleganten Cathy angesprochen, die sie durch Geschenke und Vorzugsbehandlung nicht nur zum Opfer, sondern auch zur Täterin macht, die der Stiftung weitere Kandidatinnen zuführt. All das wird im ersten und längsten Kapitel erzählt, das ein Viertel des Romans ausmacht. Der Hauptteil von „Komplizinnen“ ist Cléos Leben danach gewidmet: eine Entscheidung, die einerseits den Langzeitfolgen von Missbrauch gerecht wird und andererseits zeigt, dass das Leben nicht nur daraus besteht. Vieles aber bestimmt er doch: „Diese Geschichte ist ein Splitter, um den herum mit den Jahren neue Haut gewachsen ist. Ein kleiner Hügel rosa Leben, straff und elastisch. Ein Fremdkörper, der keiner mehr ist, er gehört zu ihr, fest verankert in einem Strang Muskelfasern, kaum abgenutzt vom Lauf der Zeit.“ Am Ende steht das Projekt zweier Regisseurinnen, einen Dokumentarfilm zum Thema zu machen, ein Unterfangen, das es der nunmehr 48 Jahre alten Cléo, verheiratet und Mutter, erlaubt, auf die anderen Opfer zuzugehen.
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