László Krasznahorkai: „Herscht 07769“
Das Ende der Welt und wie es weitergeht
Unterwegs in László Krasznahorkais fabelhaftem Ein-Satz-Roman „Herscht 07769“.
Heldenmut braucht es an anderen Stellen, aber Mumm gehört dazu, sich in einen Roman von László Krasznahorkai zu begeben. Man kann nicht wissen, was einen dort erwartet, aber bequem und übersichtlich wird es nicht sein, dafür aber einen unmenschlich langen Atemzug lang, diesmal mehr als 400 Seiten ohne Punkt, wenn auch mit Komma, garantiert einer der längsten Sätze der Welt, den selbst die Kapitelüberschriften nur grafisch unterbrechen können, sie müssen sich irgendwie dazwischen drängen, die Kapitelüberschriften, und nun sollte man die grammatikalische Situation nicht zu sehr dadurch relativieren, dass die Trennung von einem Hauptsatz vom anderen durch andere Satzzeichen als den Punkt eine wohlfeile Form der Satzverlängerung darstellt, die im Zusammenspiel mit Nebensätzen die Möglichkeit zu endloser Fortsetzung anbietet, wodurch nicht selbstverständlich ein gigantisches Gebäude entsteht, sondern im Prinzip eine Reihenhauszeile in dem Alptraum eines Grundschulkindes, das die Eingangstür zum Haus seiner Tante sucht.
Aber das ist in den Büchern von László Kraznahorkai, der es auch nicht immer so toll treibt wie diesmal, keine Manier. Es bestimmt den Lese- (und vermutlich den Schreib-)rhythmus. Denn der unmenschlich lange Atemzug lässt sich von einem Menschen ja nicht nachvollziehen, er gerät beim Lesen in ein unaufgeregtes, aber stete Aufmerksamkeit erforderndes Nach-Luft-Schnappen. Weder dem Satz noch der Leserin oder dem Leser geht die Puste aus, aber Atemtechnik braucht es schon.
Der Satz stellt den gnadenlos, nein, gleichmütig weiterfließenden Strom der Zeit nach. Man hört die Uhr ticken, wie man sie im Leben ticken hört, sobald man daran denkt. Eine Einbildung beziehungsweise ein sprachlicher Behelf, denn die Zeit braucht keine Uhr um voranzukommen, Krasznahorkai auch nicht.
Es ist also eine entspannt daherkommende, eine zwingende Methode, diesmal wieder durch die Übersetzerin Heike Flemming ungemein selbstverständlich vom Ungarischen ins Deutsche transportiert. Wer in diesen Satz hineinspringt wie in kaltes Meereswasser, mag zunächst erschüttert sein, wenn ihm klar wird, in was für einem riesigen Ding er hier gelandet ist. Aber kaltes Meereswasser hat nach einiger Zeit bekanntlich genau die richtige Temperatur, und wenn es dann doch wieder kalt wird, ist das Bild vom Meer längst abgehakt.
Denn László Krasznahorkai, im Januar 68 geworden, hat sich wieder etwas einfallen lassen. „Herscht 07769“ spielt in Ostthüringen, die Postleitzahl im Titel, eine Art Internet-Alias, verweist auf den Saale-Holzland-Kreis, zu dem das Städtchen Kahla gehört. Kana heißt der Ort im Buch, in dem der junge, arglose, bärenförmige und auch bärenstarke Florian Herscht seit einiger Zeit lebt.
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https://www.fr.de/kultur/literatur/laszl...t-91432971.html
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