Torsten Schulz: „Öl und Bienen“
Saufen, scheitern, sprudeln in der DDR-Provinz
Vom Boxhagener Platz ins Havelland: Torsten Schulz lässt in seinem wunderbar komischen Roman „Öl und Bienen“ jeden Menge skurrile Gestalten auftreten.
CARSTEN OTTE
Der erste Schauplatz ist passenderweise eine Kneipe – um viel Alkohol und andere Rauschmittel wird es in Torsten Schulz’ schillernd schönen Roman „Öl und Bienen“ immer wieder gehen. Ein selbsternannter Heimatchronist mit dem unaussprechlichen Namen Edwin Kronokiewitschky sieht es als seine dringlichste Aufgabe an, das Publikum in „Schrödingers Wirtsstube“, einer Schänke am Rande von Nauen in der Havelländischen Heide, über die unglaubliche Geschichte des ehemaligen Hauptfeldwebels Adalbert Wutzner aufzuklären. Wutzner suchte in den 1920er Jahren vor den Toren der brandenburgischen Kleinstadt nach Erdöl. Als vom Ersten Weltkrieg schwer gebeutelter Soldat glaubte er, dass die Niederlage seines Heimatlandes hätte abgewendet werden können, wenn auf den Schlachtfeldern nur reichlich Erdöl zur Herstellung von Benzin „für Panzer, Lastwagen, Flugzeuge …“ zur Verfügung gestanden hätte.
Zu Beginn ist völlig unklar, in welche Richtung sich die Geschichte entwickeln wird. Aber schon die frappierende Aktualität des Erdölthemas in kriegerischen Zeiten macht die Einstiegszene, die knapp hundert Jahre später, also kurz vor der Pandemie spielt, zu einem literarischen Coup. Gebannt folgt man dem kuriosen Vortrag des Chronisten, der sich in den Redepausen mit Bier und Kräuterlikör abfüllt. Sein hochroter Kopf sieht aus, als würde er gleich platzen. Kein Wunder, dass seine Freunde ihn auch „Blutblase“ nennen.
Adalbert Wutzner jedenfalls, berichtet Blutblase, sei süchtig nach dem Schmierstoff der industriellen Welt gewesen: „Zwei Meter tiefe Löcher hob er aus, stampfte und hüpfte stundenlang in den Gruben, um durch die Vibration, die das Hüpfen auslöste, eine Gegenvibration des Öls zu erzeugen, die er sofort in den Füßen spüren würde, unverkennbar, wie er behauptete, wenn man ihn fragte oder auch wenn man ihn nicht fragte.
Als Adalbert Wutzner durch diese bizarre Methode tatsächlich ein paar Tropfen fand, wurde er, behauptet der beseelt-beduselte Edwin, im Deutschen Reich gefeiert. Andere Ölsucher folgten ihm ins Havelland und gründeten die Siedlung Beutenberge. Nachdem das Öl jedoch nicht in den gewünschten Mengen hatte sprudeln wollen , steckte man Wutzner als „Sündenbock für die unerfüllten Hoffnungen“ ins Gefängnis, wo er auch starb. Sein Sohn Egon erfuhr spät von diesem Drama, und seitdem vibrierte es wie beim Vater in seinen Adern. Ebenfalls ohne Erfolg. Weshalb der frustrierte Egon in den Zweiten Weltkrieg zog und hier erneut mit der Ölknappheit einer Armee konfrontiert war.
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https://www.tagesspiegel.de/kultur/der-n...z/28185352.html
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