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Steinunn Sigurdardóttirs Gedichtsammlung "Nachtdämmern"

#1 von Sirius , 03.08.2022 16:32

Steinunn Sigurdardóttirs Gedichtsammlung "Nachtdämmern"

"Alles wird der erde zum verhängnis / Das innere Feuer stürmt herauf": Steinunn Sigurdardóttirs so poetische wie dramatisch aktuelle Gedichtsammlung in "Nachtdämmern".

Dieses schmale Buch, dieses Prosagedicht, diese kurzen Verse - es ist die Autobiografie eines Mädchens, das in Island aufwächst und zugleich ein einziges wehes Lamento, ein Klagelied über verschwundene Schönheit, über das langsame Sterben der Natur, der Meere, der Tiere, der Gletscher, die der Heimat der Autorin den Namen gaben: Is-land, Eisland. Sie kennt die großen Gletscher von klein auf, man lebt mit ihnen, sie leuchten in der langen Dunkelheit dieser abgelegenen Insel im Norden, aber das Leuchten lässt nach. Das Eis schmilzt. Es rutscht. Geröll kommt zum Vorschein - schmelzendes Eis und Geröll haben gerade im Süden, in den Dolomiten, sieben Menschen getötet. Die Erde heizt sich auf: "Alles wird der erde zum verhängnis/ Das innere feuer stürmt herauf/ Die erde, selbst sie,/ unter dem gletscher, heizt/ hält es nicht mehr aus."

Wenn sie zaubern könnte, schreibt die Autorin, "würde ich die weiße farbe/ zurückzaubern in die welt". Niemand kann zaubern, wir haben es vermasselt, und Zauber kann nichts mehr retten. In diesem Sommer brennen die Wälder in Europas Süden schlimmer als je zuvor, die Flüsse, die uns im Herbst wieder überschwemmen werden, sind bei der Dürre ausgetrocknet, und die Fische verenden. Gerade eben in den Nachrichten: Millionen Schmetterlinge sterben, ihr Lebensraum ist weg oder vergiftet. Kleine Signale zum großen Finale? Und Island, hoch im Norden, zeigt das Verschwinden: "Der Gletscher vergeht zum nichts,/ zu keinem, zum niemand/ wird zum scheusal, kahl/ ein berg bei verschiedenen bergen/ kein Eisberg mehr, knarrend und klar./ So verreckt der weißeste Körper der welt,/ dann übernimmt das geröll."

"Und sternenlos werden die steinreichen/ vernichter in ihren unterirdischen bunkern sein./ Mit Champagner für hundert Jahre ..."
Wut und Wehmut halten sich in diesen balancierenden, leisen Texten die Waage, alles ist wie mit einem Atem geschrieben, Kummer und Zorn führen der Autorin die Hand, und mit poetischer Kraft erzählt sie vom "kaltschönen Meer", von der "merkwürdigkeit die man liebe nennt" und von den "verkohlten halden der enttäuschung". Sie stellt die richtige Frage: "Und unser planet der wunder wird zum/ felsenriff. Wohin soll sich die menschheit dann retten?/ Zu den sternen? Welchen sternen?"

Weiterlesen:

https://www.sueddeutsche.de/kultur/stein...mmern-1.5632242


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Sirius
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