In Pogromlaune
Wer die Heimatfront gefährdet, den knöpfen sich die Profis für Pogromstimmung vor. Was zufällig irgendwann nach Veröffentlichung ihrer Texte oder TV-Schnipsel passiert, gehört nicht zu ihren sogenannten Sorgfaltspflichten. Als zum Beispiel im Dezember 1964 der Mörder von Patrice Lumumba und kongolesische Ministerpräsident vom Regierenden Bürgermeister Westberlins, Willy Brandt (SPD), im Schöneberger Rathaus empfangen wurde, warfen Studenten Eier und Tomaten auf Moïse Tschombé und trugen Transparente mit Aufschriften wie »Keine Blutbäder im Namen der Humanität«. Das richtete sich vor allem gegen den Vietnamkrieg der USA, gegen den in jenem Jahr auch in der BRD Jugendliche mit zunächst noch kleinen Demonstrationen auf die Straßen gegangen waren. Die bundesdeutsche Konzernpresse, allen voran Springer-Blätter, waren wegen der Westberliner Demonstration außer sich und hetzten speziell die Frontstadtbewohner gegen den Protest auf. Der hielt aber jahrelang an und ebbte erst nach dem Amtsantritt Brandts als Bundeskanzler 1969 ab. Am Ende war Benno Ohnesorg tot, Rudi Dutschke niedergeschossen. Den Rest erledigten die Berufsverbote Brandts.
Kein Vergleich mit dem Beschluss von etwa 50 führenden deutschen Industriellen am 10. Januar 1919, eine »Antibolschewistische Liga« zu gründen und ihr 500 Millionen Mark als Startkapital zu spenden. Kein Vergleich mit dem sozialdemokratischen Vorwärts vom 13. Januar 1919, in dem das Gedicht stand: »Viel Tote in einer Reih – Proletarier! Karl, Rosa, Radek und Kumpanei, es ist keiner dabei, es ist keiner dabei! Proletarier!« Reiner Zufall, dass Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar bestialisch nach Anweisung durch den Volksbeauftragten Gustav Noske (SPD) ermordet wurden. Kein Vergleich?
Wer sich die Rede des deutschen Blackrock-Statthalters Friedrich Merz (CDU) vom Donnerstag als Oppositionsführer im Bundestag anschaut, wird feststellen: Es wurde gelernt. Sahra Wagenknecht bezeichnete er mitten in der Hasskampagne von Konzern- und Staatsmedien gegen sie und Alice Schwarzer als »zynisch, menschenverachtend und niederträchtig«. Johann Wadephul (CDU) fügte noch »Demokratiefeindlichkeit« und »antisemitisch« hinzu und bezog sich auf einen »klugen Journalisten«, der das herausgefunden habe. Die Symbiose ähnelt der von einst. Wadephul meinte Markus Decker, der gegenwärtig für das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) arbeitet. RND gehört dem Madsack-Konzern, dessen größte Kommandistin die Medienbeteiligungsgesellschaft DDVG der SPD ist.
Decker ist subtiler als der Vorwärts damals. Er teilt zum Beispiel wie 2020 lediglich mit: »Bei vielen Grünen wird Sevim Dagdelen zu den ›Irren‹ gezählt.« Als US-Präsident Donald Trump vor gut drei Jahren mal wieder mit dem Weltfrieden durch einen Raketenschlag auf Bagdad, bei dem hochrangige iranische und irakische Friedensunterhändler ermordet wurden, spielte, war von Decker zu lesen, der damalige Linke-Abgeordnete Alexander Neu habe von »notorischen Alleingängen und Rechtsbrüchen der USA« gesprochen, Dagdelen sei der Meinung, die Bundesregierung müsse nun gegen »die US-Kriegspolitik« aktiv werden. Decker meinte, das sei »nicht falsch«, aber: »Nur sind die Statements mal wieder gnadenlos einseitig, und die Inszenierung als Friedenspartei ist mal wieder gnadenlos unglaubwürdig.« Die US-Überfälle auf den Irak, bei denen Millionen starben, erwähnte Decker bei dieser Gelegenheit gnadenlos vielseitig nicht.
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https://www.jungewelt.de/artikel/446163.in-pogromlaune.html
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