Letzte Meldung
X

An alle neu registrierten Benutzer!

Wir achten hier auf den Datenschutz. Insbesondere auf die Privatsphäre unserer Mitglieder. Wer sich nur anmeldet, um am "Küchentisch" mitzulesen oder nur Mitgliederlisten einsehen will, wer nur Spam posten möchte und nicht auf meine PNs reagiert, den lösche ich wieder.

Keine Ingewahrsamnahme von Klimaaktivistinnen

#1 von Sirius , 04.05.2023 16:24

Das Amtsgericht München zur Ingewahrsamnahme von Klimaaktivistinnen bei Sitzblockaden auf Münchener Straßen:

Titel:

Keine Ingewahrsamnahme von Klimaaktivistinnen bei Sitzblockaden auf Münchener Straßen

Normenketten:
PAG Art. 17 Abs. 1 Nr. 2
GG Art. 2 Abs. 2 S. 2, Art. 8
StGB § 240
Leitsätze:
1. Eine Sitzblockade von Klimaaktivistinnen stellt eine Versammlung dar, die den Schutzbereich des Art. 8 GG eröffnet. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Polizeigewahrsam stellt keine geeignete Maßnahme dar, Klimaaktivistinnen von der Durchführung weiterer Aktionen abzuhalten, so dass sich der Fall im Vergleich zu den üblichen Fällen der Anwendung von Art. 17 Abs. 1 PAG unterscheidet. (Rn. 14 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Ingewahrsamnahme von Aktivisten einer Sitzblockade steht das Übermaßgebot der Verhältnismäßigkeit entgegen. (Rn. 23 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es kann bezweifelt werden, dass das Festkleben auf der Fahrbahn als Nötigung gem. § 240 StGB strafbar ist. (Rn. 26 – 39) (redaktioneller Leitsatz)
5. Freiheitsentzug im Polizeirecht ist die ultima ratio und im freiheitlich demokratischen Rechtsstaat einer der tiefsten möglichen Eingriffe in die Grundrechte der Bürger. Geringfügigen Straftaten mit diesem Mittel zu begegnen ist nicht verhältnismäßig. (Rn. 41 – 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versammlungsfreiheit, Ingewahrsamnahme, Freiheitsentziehung, ultima ratio, legitimes Ziel, bayerisches Polizeiaufgabengesetz, Sitzblockade, Klimaaktivistinnen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41330

Tenor
1. Der Antrag der Antragstellerin auf Feststellung der Zulässigkeit der bisherigen Freiheitsentziehung und Anordnung der Fortdauer der Freiheitsentziehung nach Art. 17, 18 PAG wird zurückgewiesen.
2. Der Betroffene ist aus dem polizeilichen Gewahrsam zu entlassen.
3. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.
4. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen d. Betroffenen hat der Freistaat Bayern zu tragen.
Gründe
I.
1
D. Betroffene wurde von der Polizei in M. am 06.12.2022 um 23:10 Uhr auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG in Gewahrsam genommen.
2
Auf die schriftliche Sachverhaltsdarstellung der Antragstellerin wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
3
Beim Amtsgericht München wurde gem. Art. 18 PAG eine Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung beantragt.
II.
4
Das Amtsgericht München ist örtlich und sachlich zuständig (Art. 98 Abs. 2 Nr. 1 PAG).
5
Der Antrag ist zulässig. Der Antrag enthält die gemäß Art. 96 Abs. 1 PAG, § 417 Abs. 2 S. 2 FamFG erforderliche Begründung, insbesondere zur erforderlichen Dauer des Gewahrsams.
III.
6
Der Antrag der Antragstellerin war zurückzuweisen, da die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht gegeben sind.
7
Der beantragte Gewahrsam nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 BayPAG ist nicht verhältnismäßig.
8
Art. 17 Abs. 1 BayPAG sieht im Tatbestand („kann“) die Ausübung von pflichtgemäßem Ermessen, mithin auch die Prüfung der Verhältnismäßigkeit, vor.
9
Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ist eröffnet. Das Bundesverfassungsgericht hat im Fall BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 7. 3. 2011 − 1 BvR 388/05 (NJW 2011, 3020, beck-online) zur Frage der Eröffnung des Schutzbereichs bei Sitzblockaden wie folgt ausgeführt:
„Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfGE 104, 92 [104] = NJW 2002, 1031; BVerfGK 11, 102 [108] = NVwZ 2007, 1180). Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird (vgl. BVerfGE 69, 315 [342 f.] = NJW 1985, 2395; BVerfGE 87, 399 [406] = NJW 1993, 581). Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden (vgl. BVerfGE 73, 206 [248] = NJW 1987, 43; BVerfGE 87, 399 [406] = NJW 1993, 581; BVerfGE 104, 92 [103 f.] = NJW 2002, 1031). Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfGE 69, 315 [345] = NJW 1985, 2395).

Eine Versammlung verliert den Schutz des Art. 8 GG grundsätzlich bei kollektiver Unfriedlichkeit. Unfriedlich ist danach eine Versammlung, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht aber schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen (vgl. BVerfGE 73, 206 [248] = NJW 1987, 43; BVerfGE 87, 399 [406] = NJW 1993, 581; BVerfGE 104, 92 [106] = NJW 2002, 1031). Der Schutz des Art. 8 GG besteht zudem unabhängig davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und dementsprechend angemeldet ist (vgl. BVerfGE 69, 315 351 = NJW 1985, 2395; BVerfGK 4, 154 [158] = NJW 2005, 353 L; BVerfGK 11, 102 [108] = NVwZ 2007, 1180). Er endet mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung (vgl. BVerfGE 73, 206 [250] = NJW 1987, 43).“
10
Im gegenwärtigen Fall ist das vergangene und zukünftig zu erwartende Verhalten der Klimaaktivistinnen in München nach den vom Bundesverfassungsgericht formulierten Kriterien von der Versammlungsfreiheit umfasst. Die abgehaltenen Sitzblockaden entsprechen den in der genannten Entscheidung genannten Kriterien. Das Anbringen von Transparenten an Schilderbrücken ist eine Kundgebung, die auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Ein Sachverhalt, der zum Verlust des Schutzes des Art. 8 GG führen könnte, ist nicht ersichtlich.

Weiterlesen:

https://www.gesetze-bayern.de/Content/Do...N-41330?hl=true


Reset the World!

 
Sirius
Beiträge: 27.113
Registriert am: 02.11.2015


   

Diese Konzerne füllten die Wahlkampf-Kassen der Parteien
Vulgärsprache

  • Ähnliche Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag
Xobor Ein eigenes Forum erstellen
Datenschutz