Donal Ryan: Seltsame Blüten
Der irische Autor Donal Ryan ist in Tipperary aufgewachsen: Hier kennt er Hügel und Berge, Dialekte, Gebräuche und Mythen. Und hier spielt auch sein neuestes Buch mit besonders zugewandten Väterfiguren.
von Claudia Ingenhoven
Dass ein Kind verschwindet, ist in dieser Gegend noch nie vorgekommen. Auch nicht ein beinahe erwachsenes Kind. Kit und Paddy können nicht fassen, dass ihre Tochter ohne ein Wort das Haus verlassen hat; nur eine Reisetasche hat sie mitgenommen. Die Eltern warten, suchen, beten, verzweifeln. Im Dorf wird getratscht. Nur die wohlmeinenden Nachbarn fragen vorsichtig: Immer noch kein Lebenszeichen von Moll?
Man wollte auch nicht zu viel Mitleid zeigen, damit Paddy nicht meinte, man würde das Naheliegendste denken: dass Moll Gladney entweder tot oder schwanger war. Und was davon schlimmer gewesen wäre, das wusste man nicht.
Fünf Jahre lang rechnen die Eltern damit, dass der Dorfpolizist zu ihnen auf den Hügel kommt, um das Schlimmste mitzuteilen. Stattdessen öffnet Moll eines Tages die Pforte. Kit und Paddy können ihr Glück kaum glauben - ihre Tochter, gesund und unverletzt. Dass ihr Kleid kurz ist und sie raucht - nicht zu ändern. Schwieriger allerdings, dass sie nicht zur Messe gehen will. Und dass sie so viele Geschichten erzählt.
Doch keine der Geschichten verriet oder enthüllte irgendetwas darüber, warum sie gegangen war und wie um Himmels willen sie ihren Eltern fünf lange Jahre die Hölle auf Erden hatte bereiten können (…) und nicht einmal den Anstand besaß, sich zu erklären, um Vergebung zu bitten, voller Reue vor ihnen auf die Knie zu fallen.
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