Ivan Gončarov: Die schwere Not
In unserer Zeit reist alle Welt und man ist ununterbrochen unterwegs. Wie angenehm wirkt da dieser luftig leichte, literarische Spaß von Ivan Gončarov, der das Reisen zur Seuche erklärt.
von Annemarie Stoltenberg
Die Figur des Oblomov, die der russische Schriftsteller Ivan Gončarov erfunden hat, ist zu einer legendären Metapher geworden. Gončarov selbst sah in dieser Gestalt eines Menschen, der als Faulpelz lebte und das Bett nur zu den Mahlzeiten verließ, einen Teil seines eigenen Wesens. Nun ist in der Friedenauer Presse als bibliophile kleine Kostbarkeit eine Erzählung erschienen, in der Gončarov 1838 diese Figur weiterspinnt.
"Die Schwere Not": Köstliche Sommerlektüre
Gončarov erzählt hier aus der Perspektive eines Mannes, der jegliche Form der Bewegung für den Ausdruck einer gefährlichen Verirrung hält. Dies ist wohl die köstlichste aller Sommerlektüren für die Menschen, die es sich lieber auf dem Balkon gemütlich machen und sich nicht in der Pflicht sehen, bei schönem Wetter nach draußen zu müssen, um zu Spaziergängen, Ausflugsfahrten, Landpartien, Picknicks oder gar Strandbesuchen aufzubrechen. Der Held dieser Geschichte hält das für eine Art Seuche, ein saisonales Leiden: dieser kollektive Zwang zu reisen! Er entzieht sich möglichst konsequent dem Gruppendruck:
Wenn man ihm vorwarf, er gehe zu wenig und könnte einen Schlaganfall erleiden, gab er zur Antwort, in seinem Haus führe vom Vorzimmer ins Schlafgemach ein dunkler Korridor, durch den er sich fünfmal am Tage mindestens bewege, was, nach seiner Meinung absolut genüge, um ihn vor dem Schlaganfall zu bewahren.
Als 26-Jähriger schrieb Gončarov diese Satire, bei der man lesend sich durchaus mit beiden Sichtweisen identifizieren könnte. In den Pöbeleien des Helden gegen diverse Freizeitunternehmungen entwickelt man aus dem Negativ das Positiv. Man riecht förmlich die frische Luft einer Wanderung und die pure Lebensfreude, die der Ich-Erzähler partout nicht nachvollziehen kann. Er wettert:
Sie suchen unablässig nur nach unbesuchten Plätzen, abgelegenen Winkeln, um dort - stell dir das vor - Zwiesprache mit der Natur zu halten, um frische Luft zu atmen, zu fliehen vor Staub und (…) weiß der Kuckuck wovor sonst noch!
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https://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Die...oncarov100.html
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