Marzipankartoffeln
Ich sammle Kalorien,
wie andere Menschen Kunst,
von allen Künstlern ist mir
Joseph Beuys der Liebste;
wegen des Fetts,
in Ecken und in Badewannen
Ich habe seine Lehre ernst genommen
und erst zur Konsequenz gebracht
Denn anders als die
Kalorien-Dilettanten
bin ich ein Kunstwerk.
Schon sechsunddreißig Jahre
freß ich.
Laß keine Mahlzeit aus,
kein Häppchen wird mir schlecht.
An keinem Imbiß,
an keiner Süßigkeit geh‘ ich vorbei.
Kein neuer Werbespot für Essen,
der mich nicht augenblicklich
an die Regale treibt.
Und die Belohnung für dies harte Schaffen
ist ein Meisterwerk:
mein Körper,
den Kunst und Wissenschaft
und Marketing in seltner Eintracht
erst erschaffen haben.
In jedem Winkel meines Körpers
find‘ ich Fett.
Nicht Muskeln, Knochen, Knorpel,
sondern: Fett,
die Krone höchster Schöpfungskraft.
Mein Fett ist eine Zeitmaschine für Gefühle,
ein Kaffeefilter voll mit Aromaporen,
die Wut in Ärger
und Ärger in Gelassenheit verwandeln.
Mein Fett ist eine Spaßrakete,
das neue Synonym für Glück.
Und Harmonie.
Schon oft gefilmt,
auf Video gebannt,
gedruckt,
für Menschen, meist in Afrika,
damit sie schon
die Zukunft schauen können,
den neuen Weltengeist.
Die Utopie für tausend neue Jahre
Doch lebe ich zugleich als Mönch
denn nur dem Essen weihte ich mein Dasein
und schwor dem schnöden Alltag ab.
Ich schaue jetzt,
wem ich vertraue.
Menschen verderben leicht,
mein Essen nicht.
Denn Schokolade lügt nicht,
heuchelt nicht,
ist niemals launisch.
Der Grünkohl hat niemals
etwas andres vor
als nur darauf zu warten,
daß ich ihn esse.
Er lädt sich gerne Wurst noch ein,
aus der das Fett spritzt
– gezeichnet: Joseph Beuys –
und Bier
und Schnaps.
Dann feiern wir
bis morgen.
Schon heute warten hundert in der Frühe
an meiner Tür.
Nur um den Zipfel meines Rocks zu küssen,
wenn ich zum Brötchenholen fahr.
Von meinem Haus,
das ein Menü aus dicken Ziegeln,
fetten Balken und Fenstern schwer wie Lebertran,
führt mich ein Wagen
mit verstärkten Achsen
zur Arbeit,
ins Fernsehstudio,
wo täglich ich von zwölf bis eins,
vor allem aber live und ungeschnitten esse.
Danach zum Mittag und dann –
der Rest des Tages –
Wohlfahrt:
Ich ess umsonst für Waisenkinder;
Vermarktung:
Ich ess für teures Geld Produkte,
die der Verbraucher sonst nicht kauft;
Glauben:
Ich ess Oblaten für das Seelenheil der Christen,
denen wohl sonst nicht mehr zu helfen ist;
und Subventionen:
Zweimal pro Woche ess ich vom Butterberg,
was niemand sonst vermag.
Ich gebe zu,
ich keuche manchmal
an der Last.
Tagaus, tagein
nur Kunst zu sein,
ist gar nicht leicht.
Wie schnell einmal die Lust verloren
und schon fünf Kilo weniger.
Das zehrt schon an der Kondition,
doch niemals lange,
denn der Schöpfer gab mir Appetit,
wo andere nur Hunger haben.
So fand ich schon zur Lebenszeit
ein stilles Glück
und keinen Wunsch, der unerfüllt geblieben.
Nur einen:
Wüßte ich,
ich müßte
eines schönen Tages sterben,
dann würd‘ ich gerne überrollt
von reißenden Lawinen
aus Marzipankartoffeln:
Im letzten Augenblick noch mal
den Mund zu voll genommen,
das wär‘ mein schönstes Epitaph.
Hartmut Pospiech
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