Indiziert
Re-Education, nach 1945
Das Umerziehen einer ganzen Nation wurde nach dem Krieg auch mit Hilfe der Literatur betrieben. Die Amerikaner hatten errechnet,das im Deutschen Reich vor dem Krieg pro Kopf doppelt so viele Bücher gedruckt worden waren wie in den USA. Deutschlands Bibliotheken hielt man für buchstäblich vom faschistischen Bazillus verseucht. So wurde nach 1954 gesäubert, was den Besatzern irgendwie ideologisch suspekt erschien. Folge z.B.: Im fränkischen Weißenburg, wo die Nazis die Bestände schon von 10000 auf 3000 Titeln verringert hatten, dezimierte der Archivar Walter Decker sein Arsenal bis auf ein paar Hundert Bücher. Zum Opfer fiel, was nur annähernd als unerwünscht gelten konnte: Vom Nibelungenlied und Walther von der Vogelweide bis zu Fritz Steubers Kinderschmöker "Der fliegende Pfeil". Im Theater stoppten die Amerikaner O´Neills „Die Marco-Millionen“ oder Arthur Millers „Alle meine Söhne“ wegen der in beiden Stücken enthaltenen Kapitalismuskritik. Ferner verboten die Literaturlenker John Don Passos „Number One“ und Frances P. Reyes „The River Road“. Beide Romane behandelten einen autoritären Südstaaten-Politiker, und die Militärstrategen befürchteten, derlei Darstellungen „könnten wohl als authentische Berichte gedeutet werden“. Auf dem Index standen Autoren wie Erskine Caldwell und der Nobelpreisträger William Faulkner, weil sie „ein völlig negatives Bild von unserer Gesellschaft“ präsentierten. „Früchte des Zorns“ waren den Kontrolleuren zu sozialkritisch, Hemingways „Männer ohne Frauen“ zu offen: Eine 1946 erschienene Ausgabe der Kurzgeschichten–Sammlung enthielt im Vorwort einen Bericht über die Plünderung eines deutschen Weinkellers 1944 durch den Autor. Sorgfältig achteten die US-Militärs auch auf die „Beachtung ihres Medien gesetztes „Law no. 191“, das in Literatur und Theater despektierliche Äußerungen über die alliierten Siegermächte verbot. Unter das Verdikt, das die damals noch verbündete Sowjets vor Verleumdungen bewahren sollte, geriet George Orwells Satire „Farm der Tiere“ sowie Arthur Koestlers Buch „Sonnenfinsternis", das die Polit-Säuberung Stalins beschrieb. (Spiegel 41 1976)
Der Index der Bundesprüstelle: Probleme und Folgen
"Josefine Mutzenbacher. Die Geschichte einer Wienerischen Dirne. Von ihr selbst erzählt" erschien bereits 1906 und stand noch 1982 auf dem Index. Gleiches gilt für "Das erotische Rowohlt-Lesebuch", Harold Robbins Lustromanze „Goodbye Jeanette“, Richard Werthers erogene Prognose „Liebesnächte – Geständnisse einer Berlinerin", "Fanny Hill" und etwa 900 weitere Bücher, die mehrheitlich Anfang der achtziger Jahre entweder indiziert oder endgültig verboten, beschlagnahmt oder eingestampft worden sind. 25 Jahre ist die übliche Frist bis eine Indizierung erlischt. Der zitierte Nutten-Klassiker, geschrieben mutmaßlich von dem Österreicher Felix Salten, kam 1968 auf den Index der Bundesprüfstelle , weil „die sexuellen Vorgänge um die Titelheldin in grob aufdringlicher Weise in den Vordergrund“ gestellt wurden. Erst 1991 wurde das Buch auf Antrag des Rowohlt-Verlages wieder freigegeben. Darüber zu entscheiden hatten u.a. Lehrer, Hausfrauen und Kirchenmänner. Ein aufgebrachter Beisitzer hatte einmal auf „die steigenden Scheidungsraten“ verwiesen, die darauf zurückzuführen seien, dass „Männer in ihrer Jugend erotische Literatur gelesen“ hätten, und „an ihre späteren Ehefrauen unerfüllbare sexuelle Ansprüche“ stellten: „Enttäuscht reichen sie dann die Scheidung ein“. (Spiegel 3 1991)
Thorsten Günter, Wie fang ich´s an, indiziert 1958
http://www.zensur-archiv.de/index.php?ti...tgrenze.2C_2015
(Wird fortgesetzt)
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"Wenn der Staatsanwalt kommt", Frankfurt 1983
Die Beschlagnahme von Comics wie "Justine" und "Emanuelle" oder "Barbarella", von Büchern wie "Joy of Sex", "More Jow of Sex" oder "Delta der Venus" von A. Nin oder "Die sexuellen Phantasien der Männer" von N. Friday oder "Die Memoiren der Fanny Hill", "Isabella – in den Zeiten der Lust" und "Das fröhliche Erotikum" führten zu einer Verunsicherung unter den Buchhändler. Daraufhin erschien zur Buchmesse ein juristischer Leitfaden mit dem Titel "Wenn der Staatsanwalt kommt". Darin wird eine Dienstaufsichtsbeschwerde empfohlen und hartnäckiges Bestehen auf das Protokollieren. Denn „die Vorgehensweise von Polizei und Staatsanwaltschaft, wie wir sie jetzt beobachten, ... ist auf längere Sicht de facto als Zensur zu werten“. (Spiegel 48 1983)
Baudelaire: Die Blumen des Bösen, 1857
Das Buch erschien im Juni 1857. Schon am 20. August wurden Baudelaire und seine Verleger wegen „Beleidigung der guten Sitten und der öffentlichen Moral“ zur Streichung von sechs Gedichten und zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt.
Gustave Flaubert: "Madam Bovary", 1857
Der Roman erregte vor allem deshalb Anstoss, weil die verheiratete Frau stundenlang mit ihrem Liebhaber in einer verhangenen Kutsche durch Paris fährt. (Spiegel 45 1973)
Arthur Schnitzler/Max Ophüls: "Der Reigen", 1897, 1950
Das Stück mit den zehn "Vorher-Nachher-(Bett)-Szenen (zwischen den Episoden findet sich im Text jeweils ein vielsagender Gedankenstrich, im Theater fiel - so in Berlin 1921 - jeweils der Vorhang) erschien nur als Privatdruck. Schnitzler nahm nach den Skandalen und Anfeindungen schließlich das Stück nicht in sein Gesamtwerk auf und untersagte testamentarisch, dass Aufführungen auf der Bühne. An den Film aber hatte er nicht gedacht und so verfilmte Max Ophüls den "Reigen" bereits 1950. (Spiegel 45 1973)
James Hanley: „Boy“, 1931/1990
Das Werk war erstmals 1931 in 145 Exemplaren erschienen und galt als „obszön“, wie die Richter 1934 in einem Urteil befanden.Es wurde verboten. In dem Wekr wird eine Geschichte, die Hanley in Ansätzen möglicherweise selbst wiederfahren ist, als er zwischen seinem 13. und 23. Lebensjahr zur See gefahren war: Homosexuelle Attacken der Besatzung. (Spiegel 33 1990)
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Heimliches Lesevergnügen: Verbotene Bücher
Seitdem es Bücher gibt, werden immer wieder einzelne Werke oder Autoren mit Verboten belegt. Die Kirche gehört sicher zu den bekanntesten Institutionen, die über 400 Jahre lang einen Index verbotener Bücher führte. Dort fanden sich Autoren erotischer Literatur ebenso wie Philosophen und Wissenschaftler. Ihnen gemeinsam war der Widerspruch zu den Vorstellungen der katholischen Kirche.
Auch die Nationalsozialisten führten Listen unerwünschter Künstler und Schriften. Autoren, die nicht emigrierten, wurden mit Aufführungs- und Schreibverboten belegt und litten teilweise große Armut, während Ihre Schriften verbrannt wurden.
Doch auch in unserer Zeit gelten einige Bücher als gefährlich. Die Begründung: Harry Potter befürworte den Gebrauch von Zauberei, Sakrileg stelle das Christentum in Frage und Charles Darwins Abhandlung Über die Entstehung der Arten sei schlichtweg eine Falschdarstellung.
Bücherliste:
http://www.abebooks.de/Buecher-Highlight...e-Buecher.shtml
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Erich Maria Remarque: „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“, 1954
Der zeitlich im Nationalsozialismus angesiedelte Roman erschien erst, nachdem der Verlag „ganze Partien des Romans als unzumutbar“ zurückgewiesen und der Autor bereitwillig entsprechende Korrekturen vorgenommen hatte. Der „gute Kommunist“ mutierte so zum „guten Sozialdemokraten“, deutliche Hinweise auf Verbrechen der Wehrmacht in Russland wurden stellenweise entschärft oder ganz getilgt und Vergleiche von deutschen Soldaten mit „Mördern“ zurückgenommen, weil solche Aussage den bundesdeutschen Lesern in den fünfziger Jahren kaum zumutbar erschienen. Fast gleichzeitig erschienen in anderen europäischen Ländern aber Übersetzungen, die sich an das Original anlehnten. Erst 1989 (und dann später noch einmal 1998) erschien in der Bundesrepublik eine Fassung, in der die vom Verlag verlangten Eingriffe zurückgenommen wurden.(Spiegel 27 1998)
Bert Andreas, Wirren des Lebens, indiziert 1957
Bert Andreas, Schwester Michaela, indiziert 1957
Bert Andreas, Der Seele Zwiespalt, indiziert 1958
Pitigrilli, Der falsche Weg, und Die Jungfrau von 18 Karat, 1959
Standen am 31.7.1959 auf dem Index für jugendgefährdende Schriften
Jean Genet: Werk, fünfziger und sechziger Jahre
Nahezu alle Bücher von Genet wurden zensiert, Verleger mit Prozessen überhäuft, Fallschirmjäger protestierten gegen seine Theaterstücke und Theater, die seine Stücke spielten wurden mit Bombendrohungen überzogen. Der Autor wurde aus fünf europäischen Ländern ausgewiesen.
Günter Grass: Hundejahre, 17.-21.Auflage Luchterhand, 1963
In dieser Ausgabe wurde auf S. 673 ein Wort geschwärzt: "Und am Ende spielen die ========= Symphoniker in ihrer braunen Arbeitskluft etwas aus Götterdämmerung" Das geschwärzte Wort heisst in der Erstausgabe ohne Schwärzung "Bamberger". Auch in allen Buchgemeinschaftsausgaben, in den Lizenzausgaben für rororo und auch in späten Luchterhandausgaben tritt lediglich ein namenloses Symphonieorchester auf. Ein Band mit der ganzen Danziger Trilogie im Luchterhand Verlag ist ebenfalls ohne "Bamberger", die Trilogie im Steidl Verlag hingegen wieder mit und ebenso die kommentierte Neuausgabe von "Hundejahre" aus dem Steidl Verlag. Das Lektorat von Steidl erklärte unter Berufung auf Grass dazu, dass der Schriftsteller mal ein Foto gesehen hatte, auf dem die Bamberger Symphoniker braune Arbeitskluft trugen. Er konnte aber auf den Protest der Symphoniker hin das beweiskräftige Foto aber nicht mehr ausfindig machen, so dass der Verlag gezwungen war, das Wort "Bamberger" in der damals aktuellen Auflage unkenntlich zu machen, was per Hand geschah, und in künftigen Auflagen zu unterlassen. Der Steidl Verlag hat den ursprünglichen Text wieder hergestellt. (Quelle/Recherche bezogen auf den obigen Abschnitt: W. Jöst/Ubu Antiquariat Bochum) Auch die aktuelle Leseprobe http://www.randomhouse.de/content/editio...pts/362542.pdf? erscheint wieder in der ursprünglichen Fassung: "Die wahrhaftige Hölle!« reagieren kann, stellt Vogelscheuchen für den Export in alle Welt her – deutsche Vogelscheuchen aus deutschem »Schrott«, die mal die berühmte Heideggersche Zipfelmütze tragen und schnarrend übers »Ge-scheuch-sein« dozieren, mal als Bamberger Symphoniker in brauner Arbeitskluft etwas aus der Götterdämmerung spielen und mal über die Artikel des Grundgesetzes belehrt werden. Klar, dass der Hund, der am Schluss in dieser Hölle zurückbleiben muss, nur »Pluto« heißen kann."
http://www.zensur-archiv.de/index.php?ti...4chtnis.2C_2014
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