Natur und Sehnsucht
1.
Schlaflos lieg' ich, wie im Fieber
starr' ich in die Schatten hin,
ob mir eben nicht ihr lieber
Augenstrahl erglänzte drin,
ob nicht solche Grüße brächten
auch zwei Seelen sich von fern,
wie in heitren Sommernächten
fällt vom Himmel Stern zu Stern.
Wie der Mond im Wechsel wandelt
ruhlos je und je,
bis das blasse Antlitz wieder
ihm verklärt die See:
muss ich einsam immer schweifen,
schweifen ohne Ruh' -
ach, wann strahlet Frieden wieder
mir dein Auge zu?!
Aus des Abends weißen Wogen
taucht ein Stern;
still von fern
kommt der blasse Mond gezogen.
Fern, ach fern
aus des Morgens grauen Wogen
langt der stille blasse Bogen
nach dem Stern!
An dem Fluss die alte Stelle
hab' ich suchen müssen,
wo die Weiden niederhängen,
um die Flut zu küssen.
Doch es rinnt die kühle Welle
ungerührt von hinnen:
und ich muss bei ihren Klängen,
Liebste, Deiner sinnen!
5
Stumm und schwer die Blätter hangen,
regungslos die Bäume stehen,
und ich fühl' ein seltsam Bangen
durch die heißen Lüfte wehen,
bis ins heiße Herz mir zittern,
ob ich flüchte, ob ich weile ...
Oh, ich lechze nach Gewittern!
komm, Geliebte! eile! eile!
Richard Dehmel (1863-1920)
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