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RE: Über das Wechseln eines Zuhauses

#1 von Karl Ludwig , 12.08.2018 11:12

Ich bin umgezogen, bzw. bin noch dabei. Soll heißen: Alles wegwerfen, was ich in den letzten Jahren nicht benutzte, und das ist Jede Menge. Ich neige dazu, Dinge hinter Sofas, unter Betten, in und auf Schränken und so, zu verstauen und anschließend in den Blinden Fleck zu schieben.

Es findet sich ein Umzugskarton Papiere, teilweise noch aus der Zeit, als die Saurier herrschten. Na gut, ich übertreibe: Als Kaiser Wilhelm regierte. Und viele Fotos, die ich sonst nie betrachte. Gottchen, was war ich doch für ein niedliches Kerlchen. Lang lang ist's her. Pässe mit vielen Stempeln, Zeitungsausschnitte, Scheidungsurteile, Visitenkarten und viele Kilo unausgefüllte Formulare … ich lasse mir immer alle Formulare von den zuständigen Sachbearbeitern ausfüllen, wegen Überbein im Arm oder wahlweise Legasthenie. Das ist erfahrungsgemäß immer noch die schnellste Methode, welche zugleich den Vorteil beinhaltet, fehlerfreie Ergebnisse zu liefern. Meinen Rentenantrag zum Beispiel füllte mir damals ein ehrenamtlicher, ehemaliger Sachbearbeiter aus. Der hockte in so einem kleinen Kabuff hinterm Rathaus und meinte auf meine Frage: „Nee, so etwas kann auch kein Normalsterblicher.“ (Und dann 'vergaß' er, meine Kinder zu erwähnen, das würde nur völlig sinnlose, formularintensive 'Rentenausgleich-Generations-Anpassung' oder WeißDerGeier provozieren. Irgendwo auf EU-Ebene vermutlich.)

Wegwerfen? Oh, eine CD von einem meiner Auftritte in Istanbul. Etwas peinlich, aber damals hatte es Spaß gemacht. Alleine dieser Karton hier würde genug Material für eine zeitgemäße Version der Menschlichen Komödie hergeben. Egal. Man soll sein Herz nicht an äußere Dinge hängen und nichts ist so langweilig wie vergessene Erinnerungen an kleine, goldene Momente.

Und Wäsche. Bergeweise Schmutzwäsche in unterschiedlichen Stadien der Gärung begriffen, und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass sich darin spontanes Leben entwickeln könnte. Warum, bitte schön, sollte ich denn auf die Idee kommen, die Maschine zu füttern, solange noch saubere Klamotten vorhanden sind? Und ein geräumiger Schrank in den ich all das Zeugs, welches ich nicht mehr sehen will, packen kann? Zwei oder drei Komplettbekleidungsgarnituren reichen mir völlig, und die liegen meistens abwartend auf einem der Sofas herum. Die ziehe ich wechselweise an. Mit geringer Modifikation schon seit Jahren. Also weg mit dem Rest. Sollen sich die Nachbarn doch beschweren, weil der Restmüllcontainer schon wieder voll ist. (Wir haben hier drei große Container auf dem Hof stehen: Einen für Verbundstoffe und Plastik, zweiten für Papier, und dritten für den Restmüll. Schwer Gewissen beruhigend und so. Leider besitze ich so was nur rudimentär.)

Und Bücher. Schund und 'gehobene' Literatur. Ehrlich Karlchen, wann hast Du das letzte Mal im Grundgesetz geschmökert? Und das Büchlein 'China im Aufbruch' von 1990 ist wohl kaum noch als aktuell zu bezeichnen. Hum. Kopfkratz. Allerdings könnte man aus dem Vergleich mit Heute niedliche Geschichtchen stricken. Nur, wer will das schon machen. Ich ganz bestimmt nicht. Also weg mit damit.

Sauber! Doch nun ist der Altpapiercontainer so voll, dass keine Serviette mehr reinpassen würde, und die Mitbewohner werden garantiert entsetzt sein, wenn sie mit ihren gelesenen Zeitungen davor stehen. Allerdings passiert so etwas hier regelmäßig, wenn jemand ein-, aus-, oder umzieht. Also absolve est.

Non absolve est mein Abfalltrennungsbenimm. Ich schleppe doch keinen Zentner Klamotten, um sie möglichst gewaschen, in eine dieser Tonnen mit Briefkastenschlitz zu schubsen, auf dass irgend so ein dubioser Verein damit Knete machen kann (Man soll nämlich, bevor man so etwas tut, auch noch sehr sorgfältig recherchieren, wer diese Station überhaupt eingerichtet hat. Meine Güte, ich will den Quatsch doch nur los werden).

Außerdem haben wir hier in Burgdorf eine Literatursammelstelle, welche mit gespendeten Büchern kleine Bibliotheksschränke für umsonst in der Stadt bestücken. Hätte ich ja als verantwortungsbewusster Konsument in meiner Entsorgungslogistik berücksichtigen können.

Der Rest: Das ist auch alles Restmüll! Basta! Alle gesammelte Flaschen, welche ich mir vorgenommen hatte, irgendwann zum Altglassammelbehälter zu bringen, Computerteile, welche einzubauen ich zu faul bin, sechs Festplatten, von denen ich mir noch 'wichtige' Daten zergeln wollte, Plastikflaschen mit und ohne Pfand, vertrocknete Topfpflanzen, die ganz schön missbilligend gucken können, Teppichböden, welche zu verlegen ich keine Zeit fand, zwei defekte Heizlüfter … Geschirr, Töpfe und Besteck in solchen Mengen, dass man überhaupt keine Lust verspürt, endlich mal abzuwaschen, lieber schnell nach den sauberen Sachen greift, woraufhin der Abwaschberg natürlich noch größer wird – und zwangsläufig auch die Unlust, diesen zu bearbeiten – Ihr kennt das ja bestimmt von Euch selber …

Alles Restmüll!

Kurz: Es war einmal ein Junggesellenhaushalt, sehr messikesk. Aber gemütlich. Man brauchte wirklich keine Angst haben, irgend etwas dreckig zu machen. Und so lange man nicht an die Wände kam, war es auch ungefährlich. Zwei Sofas muss ich noch zerschlagen. Und zwei Kingsize-Betten. Einen Schrank. Zwei kleine Schreibtische. Ach herjeh. Ach hejemineh. Ach, warum nur immer ich?

Die Nasszelle will ich mit Salzsäure säubern. (Kein Witz! Noch nicht einmal lustig.) So als überzeugter Stehpinkler und hingebungsvoll zaudernde Putzkolonne … na-ja, meine Bekannte weigert sich schon seit Jahren, dieses Klo zu benutzen, wenn sie mich besucht. Ich selber wohne nicht dort, sondern bin immer schwer bemüht, so schnell wie möglich diesen Ort wieder zu verlassen.

Morgen Vormittag wird der Restmüllcontainer geleert, morgen Nachmittag wird er wieder bis über den Anschlag gefüllt sein.

Und hier, in meinem neuen Zuhause, geht es doch auch schon wieder los: Was mache ich mit diesem funktionierenden Flachbildschirm? Keine Ahnung, wo ich den her habe. Den darf ich doch nicht wegschmeißen? Was ist mit dem Klavier? Ja-ja, einige Taste sind kaputt, aber noch habe ich nichts Besseres. Wohin mit Regenschirm und Bürorollunterschrank, der so lebensnotwendigen Dingen beinhaltet wie Marker, Taschenrechner, Locher, Klammerer, Tip-Ex, Ringlochverstärker, Entklammerer, Laserentfernungsmesser, Lineal, Minidrucker, Geschäftspapieren mit Briefkopf, Umschläge, Maßstab und ein Handbuch für korrektes Erstellen von positiven Arbeitgeberzeugnissen? Und braucht jemand zufällig eine voll eingerichtete Geschäftsmannaktentasche, mit Zahlenschloss verschließbar, wichtig, wichtig? Sieht aus wie ein Hebammenkoffer, nur etwas eckiger. Mit Hängeregister für Pläne und Korrespondenz. Und unbenutzten Extrafächern für Alkohol, Viagra, Valium, Kopfschmerztabletten und einem Brevier mit den Adressen von Escortdamen in jeder Stadt? Nein, so etwas braucht von den Lesern keiner?

Seht Ihr? Ich auch nicht.

Fortsetzung folgt


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RE: Über das Wechseln eines Zuhauses

#2 von Sirius , 12.08.2018 20:30

Ich denke, hier hat wohl jeder ähnliche Erfahrungen gemacht, deshalb muss ich meinen Senf da raushalten, wegen der eigenen Nase, an die man sich fassen soll.
Diese Literatursammelstellen gibt es hier auch, aber wie bekommt man Tonnen von Büchern dorthin?
Ich finde, Bücher wegzuschmeißen, fast noch schlimmer als Lebensmittel.
Restmüll ist auch einer meiner Lieblingsworte. Meine Einrichtung besteht daraus, ich nenne das „kulturelle Gegenstände für den gehobenen Anspruch“.
Und stimmt, mit deinen alten Unterhosen werden noch große Geschäfte gemacht, die kommen als „Schießer“ in den Kofferraum unserer Altautos und dann ab nach Afrika, nebst Medikamenten und abgelaufener Hähnchenteile.

Dein Einzug ist sehr unterhaltsam, und ich bin sehr gespannt, was du sonst noch so alles findest.

Sirius


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