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RE: Antwort auf 'Ratschläge der Hedonisten'

#1 von Karl Ludwig , 20.01.2016 18:24

Target Fin

Meine Obsession ist nicht von dieser Welt. Sie entzieht sich der Quantifizierung, und wird nicht über Leistung bestimmt, - im Gegenteil! Keine Substanzen aus Materie, keine Ideale beschmutzen sie, nichts definiert ihren Wert außer ihre Makellosigkeit. Sie ist entstofflicht und rein. Sie benötigt keinen Marmor, keine Leinwand, Bühne oder andere irdische Zutaten. Keine Elemente der wahrnehmbaren Welt bekleckern ihre strahlend klare Schönheit. Sie braucht keine Kirchen, Paläste, Inspirationen, Museen, Werkzeuge. Keine Zuschauer, Kundschaft, Training, Mitwirkende. Keine Regeln, Rituale, Lehrer, kluge Bücher, Werbung auf dem Trikot oder langweilige Vernissagen.

Meine Ehre lautet: Faulheit! Keinen Ehrgeiz zu entwickeln ist mein Ehrgeiz. Schauet nur, ihr Vorgeborenen, wie ich das Geschenk des Lebens durch Vermeidung großer Taten adele.

Ich spreche nicht nur von der Faulheit des Körpers, sondern auch von der Faulheit des Geistes, sich mit belanglosen Dingen zu beschäftigen.

Ich weiß, wofür ich lebe. Alles ist gut. Oder etwa nicht? Das wiederum wär mir dennoch gut genug.

Es gibt jede Menge verächtliche Worte für einen Finder der Muße, für einen Meister der Ehrgeizlosigkeit: Penner, Gammler, Faulenzer, Nichtsnutz, Schnarchsack. Er ist in den Augen der Verblendeten nur ein verantwortungsloses, gänzlich asoziales Etwas, unzuverlässig, ungehorsam, charakter- und überhaupt völlig wertlos. Ein gesellschaftliches Monstrum.

Ganz allgemein: Die Optimierung der Faulheit wird kein bisschen gewürdigt, da Ah‘tens faule Menschen als Konsumenten total uninteressant sind, man Beh‘tens faule Menschen nur geringfügig ausbeuten kann, und ihnen Ceh‘tens Waffen in die Hand zu drücken auch absolut sinnlos wäre. Eher springt ein überzeugt fauler Mensch über tausend Berge, als dass er sich anstrengen würde. Er muss keine Ethik oder Moral bemühen um gut zu sein, sondern begnügt sich mit der Faulheit, um nicht Böses anzustellen.

Der wahre Wert von Faulheit wird ständig übersehen. Die anderen hasten vorbei, sind fleißig, erschaffen Königreiche und Kunst. Sie geben sich halt Mühe. Doch nie werden sie mit meiner Hingabe und Leidenschaft an das Phlegma und für die autistische Apathie ihre chimäresken Sehnsüchte leben: Die ultimative Faulheit! Die lethargische Optimierung der Bequemlichkeit mit Hilfe konzentrierter Gedankenlosigkeit. Die Aufregung der langen Weile. Keine Meditationstechniken nötig. Ein Sofa reicht aus und schon folge ich meinem Leitstern: Wie ich mit geringstem Einsatz die größtmöglichen Resultate erziele…

Als Kind schon hatte ich herausgefunden, wie nervtötend anstrengend es ist, alle Notwendigkeiten zu erledigen, die sich ergeben, wenn man alle Notwendigkeiten erledigen will. Doch ich vergaß, verdrängte, ließ mich von den anderen und ihren Argumenten halbherzig überzeugen. Dabei wusste ich genau: Die Notwendigkeiten heischen ständig nach Beachtung und sind nie zufrieden gestellt. Der angeblichen Pflicht wird nie ausreichend Genüge getan.

Und wofür? Für Eigenheim, Urlaub und Auto? Ein Auto spart weniger Zeit, Geld und Energie, als kein Auto. (Abgesehen davon fragt man sich unwillkürlich: Warum denn, um Gottes Willen, ausgerechnet an der Zeit sparen, als sei sie tatsächliches Vermögen?) Letztendlich braucht man das Auto nur, um zur Arbeit zu fahren um Geld zu verdienen, um sich ein Auto leisten zu können, um von A nach B zu gelangen, wobei man vielen Autos begegnet, die ihre Insassen von B nach A befördern. So ist es mit fast allem Besitz: Er besitzt uns. All diese Sachen, die man angeblich benötigt, um es sich angenehm zu gestalten, machen das Leben in ihrer schier endlosen Masse nur komplizierter, erfordern mehr Kümmern und Energie, als sie wirklich einsparen. Wir gehen Symbiosen mit Dingen ein. Mit Küchengeräten, Putzmitteln, Wecker, Telefon und Internet, mit Ritualen und parasitären Forderungen derer, die aufgeregt ihre Schäflein ins Trockene scheuchen wollen.

Wir verwechseln Innen und Außen. Wir haben die Faulheit zu einer verachtenswerten Todsünde gemacht. Danke Dante! Wir haben der Freiheit Zügel und Scheuklappen von Pflicht und Disziplin angeschirrt. Wir funktionieren! Das unterscheidet uns nicht besonders von den Amöben.

Wie sehr verlor ich mich als Heranwachsender in der Vordergründigkeit, im Handeln nach Maximen, im Gedenken an Größe beanspruchende selbstverliebte Gedanken großer Denker. Und wie vielen falschen Führern musste ich folgen, bis ich in mir den richtigen entdeckte. Er war nur zu faul gewesen, sich bei mir zu melden. Ich musste ihn schon selber finden.

Mit Faulheit sprenge ich meine Grenzen als erdgebundenes Weltenkind und überwinde alle Illusionen. Ich bin zu faul, mich dauerhaft irgendwelchen Täuschungen hinzugeben, geschweige denn, dafür auch noch anzustrengen. Faulheit ist die Voraussetzung, den Sinn des Lebens zu erfahren: Faulheit ist der Sinn des Lebens. Faulheit sei gebenedeiet unter den Tugenden.

Faulheit schont sogar die Umwelt. Faule Menschen schmeißen auch nicht mit Steinen nach Katzen und schubsen keine alten Frauen aus der Warteschlange. Faule Menschen sind zu faul um nachtragend zu sein. Sie intrigieren nicht, sie wollen nicht gewinnen. Sie wollen nur nicht übermäßig oft verlieren.

Wenn es nicht zu anstrengend wäre, würde ich eine Sekte gründen. Die ‚Bruder- und Schwesternschaft der heiligen Faulpelzer’. Alle meine Anhänger wären zur Inaktivität verpflichtet, selbst der Besuch meines Tempels wäre schon eine Sünde wider dem Geist der Faulheit. Sie müssten sich den Pfad der Pfade schon entlang tragen lassen, um als Novize anerkannt zu werden.

Meine Vorfahren wären stolz auf mich. Vielleicht sind sie es sogar. Und so erlebe ich mein Schicksal mit Stolz als ob es eine Krone wär: Ich selber bin der letzte Zweck meiner Existenz. Target Fin


Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!

Karl Ludwig  
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RE: Antwort auf 'Ratschläge der Hedonisten'

#2 von Sirius , 20.01.2016 19:59

Lieber klsa,

eigentlich war ich zu faul für einen Kommentar, immerhin hatte ich deinen Beitrag ja schon gelesen.
Dein Beitrag ist quasi ein längerer Kommentar auf Larkins Gedicht, also so faul bist du nicht.
Ihr habt immer sehr lange Themen, die meinem Hedonismus zuwider laufen, wie soll man da seiner Lust frönen und sich der dekadenten Faulheit hingeben?
Der Hedonismus ist eine Philosophie, die mir sehr entgegen kommt, fördert sie doch meinen Egoismus und verlangt nicht geistige Beschäftigung mit ihr. Außerdem: Wer sich philosophisch über den Sexismus echauffiert, ist nur zu faul, sich zu bewegen.
Und wer sich von seinen Gelüsten erholen muss, dem sollte man nicht Faulheit unterstellen, aber das machst du ja auch nicht, im Gegenteil, du liebst es, dich tot zu stellen.
So habe ich deinen ausführlichen „Kommentar“ sehr genossen.

Sirius


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RE: Antwort auf 'Ratschläge der Hedonisten'

#3 von Karl Ludwig , 26.05.2016 08:05

Hallo Larkin,

Ich habe Deinen Kommentar tatsächlich erst heute wahrgenommen.

Mein Weltbild hat selbstverständlich unscharfe Ränder, hebt sich kaum von dem Hintergrundrauschen ab, strunzt vor Unlogismen usw.

Aaaaber Ah: Der kategorische Imperativ bezieht sich nicht auf die Faulheit, sondern auf das Handeln, was bei exzessiver Faulheit selten, aber dennoch geschieht. Man geht nicht einfach so durch das Leben, ohne hier und da eine Delle zu verursachen. Oft auch bei sich selber.

Beh: Ich glaube nicht, dass die Beschäftigung mit Belanglosigkeiten, diese plötzlich zu Notwendigkeiten mutieren lässt.

Ceh: Extravaganz. Stellt sich automatisch und von selber ein, wenn man die Regeln nicht für verbindlich hält, sondern für modifizierbare Richtlinien, und sich seine eigenen strickt, wobei es schwer fällt festzustellen, welche davon gewollte Absicht sind und welche man bloß für die Entschuldigungen benötigt.

Ich habe dann mal auf der Festplatte gestöbert und noch ein weiteres wirres Wortgefüge wewunden:


Die Ursünde

Wie wir alle wissen sollten, werden wir angeblich schon als Sünder geboren, auch wenn ich aus Erfahrung zu berichten weiß, dass das Schlimmste, was man von einem kleinen Kind erwarten darf, schmutzige Windeln und nächtliche Ruhestörungen sind. So etwas dürfte doch wohl kaum ‚sündig’ sein.

Egal, weise Männer haben es so und nicht anders verkündet. Weise Männer sind im Regelfall alte Männer, verbohrt und verständlicher Weise sauer, weil sie kaum noch irgendwelche Sünden begehen können. Man könnte es auch als ‚Krüppelwut’ bezeichnen, aus einer gewachsen … eher geschrumpften …, notwendigen Überzeugung heraus.

Man kann doch nicht uns unvollkommenen Menschen die unvollkommene Menschlichkeit zum Vorwurf zu machen. Also füge ich der Übermasse an Verschwörungstheorien eine weitere zu: Das ist alles Absicht! Diese selbsternannten Wächter von Anstand und Sitte haben es tatsächlich geschafft, uns jeden Spaß an der Freude zu nehmen. Wir alle sind Opfer eines Komplotts der moralischen Gerontokratur!

Wie kann etwas von Natur aus schlecht, sündig gar sein?

Ich muss nicht büßen! Solange ich nicht andere Menschen absichtlich leiden lasse, womöglich aufgrund der Doktrinen alter Männer, die ihre Felle davon schwimmen sehen, was schon ein wenig misanthropisch angehauchte Überlegungen nach sich ziehen kann, solange begehe ich keine Sünde! Solange ich keinem Menschen absichtlich schade, sei mir mit Nachsicht begegnet. Wenn ich mich zu Tode saufe, begehe ich keine Sünde, sondern nur eine suizidale Dummheit. Wenn ich das Weib vom Nachbarn begehre, sollte der sich geschmeichelt fühlen. Sozial verwerflich, wenn ich ihr an die Muschi will und die das sogar begrüßt, klar, aber (im wahrsten Sinn des Wortes) 'beileibe' keine Sünde, sondern bloß der genetische Imperativ, die Liebe, der Trieb, die Gene…

Wenn sich (wie es öfters passiert sein soll) ein Mitglied des Erschießungskommandos lieber selber eine Kugel in den Kopf jagt, als Müttern und Kindern im Rahmen einer ethnischen Säuberung, ist er ein Held und kein Sünder, der (böse, böse) Selbstmord begann.

Die Ursünde ist sie selber, diese kranke Vorstellung, es gäbe eine Ursünde.

Die Sünde entsteht erst dann, wenn man andere Menschen wie Dinge behandelt, wenn man Prioritäten setzt, denen man Anstand, Fairness und Empathie opfert, also seine eigene Menschlichkeit vergewaltigt. Also dann, wenn man gelernt hat, gut und schlecht zu definieren und sich für schlecht entscheidet, weil es einem selber Vorteile bringen könnte. Aber bitte nicht präventiv allen Menschen unterstellen, sie wären grundsätzlich schuldig.


Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!

Karl Ludwig  
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