„Hier hast du was zu trinken“
Die Politik hat ein Klima geschaffen, in dem Hartz-IV-Sanktionen kaum noch ernsthaft in Frage gestellt werden
Es gab eine Zeit, da diffamierten ranghohe Politiker die Armen im Land als „Parasiten“. Wer nun meint, das könne nur im vorletzten Jahrhundert oder während der Nazi-Barbarei geschehen sein, der liegt komplett daneben. Im Sommer 2005 verbreitete Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement (damals noch in der SPD) über sein Bundesministerium ein Papier mit dem Titel „Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, Abzocke und Selbstbedienung im Sozialstaat“.
Clement ließ seine Mitarbeiter aufschreiben, „die Hemmschwelle für Sozialbetrug“ sei „offensichtlich bei Einigen gesunken, seitdem die Arbeitsverwaltung Sozialleistungen auszahlt und nicht mehr das Sozialamt“. Diese „Mitnahme-Mentalität“ schade den Arbeitswilligen und damit den „tatsächlich Bedürftigen“.
Das mutmaßliche Ausmaß der Schwarzarbeit erregte die Autoren so sehr, dass sie einen Vergleich formulierten: „Biologen verwenden für ‚Organismen, die zeitweise oder dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten anderer Lebewesen – ihren Wirten – leben‘, übereinstimmend die Bezeichnung ‚Parasiten‘.“
Kurz zuvor, im Mai 2005, hatte Der Spiegel über den von SPD und Grünen durchgesetzten Sozialstaatsumbau getitelt: „Die total verrückte Reform: Milliardengrab Hartz IV“. Unter der Überschrift „Der Hartz-Horror“ kündigte das Magazin „das größte Finanzdebakel seit der deutschen Einheit“ an, das aus Konstruktionsfehlern der Agenda 2010 resultieren werde. Clements Papier war eine Reaktion darauf. Er lenkte die Aufmerksamkeit von der Politik auf den angeblich grassierenden „Sozialbetrug“.
Mit nachhaltigem Erfolg: Eine repräsentative Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach kam 2012 zu dem Schluss: „Jeweils zwischen 55 und 60 Prozent der Bevölkerung halten die Leistungsbezieher (eher) für schlecht ausgebildet, (eher) für zu wählerisch bei der Arbeitssuche oder gehen (eher) davon aus, dass sie nichts Sinnvolles zu tun haben, nur die Zeit totschlagen, und sich selbst nicht aktiv um Arbeit bemühen.“ Fast ein Drittel der Befragten teile den Eindruck, dass Menschen in der Grundsicherung nicht arbeiten wollten.
Weiterkotzen:
https://www.freitag.de/autoren/cbaron/hi...-was-zu-trinken
Reset the World!
Beiträge: | 27.291 |
Registriert am: | 02.11.2015 |
Ein eigenes Forum erstellen |