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Migration als Bild des Verlorenseins: "Späte Gäste", ein betörend poetischer Roman der Schweizer Schriftstellerin Gertrud Leutenegger. ULRICH RÜDENAUER
Ist man nicht immer, wenn jemand geht, in einem Schwebezustand gefangen? Erinnerungen an den Verschwundenen verschwimmen mit der fremd werdenden Gegenwart. Zwar ist man selbst da und lebendig, aber doch in einer diffusen Gefühlswelt gefangen, in einem Meer aus Eindrücken ertrinkend, nach Rettungsbojen Ausschau haltend, nach Halt gebenden Geschichten. „Doch reglos und gerade ausgestreckt kann ich mich der Müdigkeit nicht erwehren. Sie kommt in immer stärkeren Wellen. Ist es möglich, dass in dieser klaren Februarnacht Nebel aus der Ebene das Haus erreicht haben? Etwas Unruhiges, Dunstiges weht in kurzen Abständen am Fenster vorbei. Aber ich liege schon nicht mehr in der roten Kammer. Es ist eine warme Sommernacht, und trotzdem sind noch viel dichtere Nebelschleier vor dem Fenster. Oder ist es Rauch, schwerer beißender Rauch?“
Es ist Februar. Die Ich-Erzählerin kehrt in ein Dorf in der Lombardei zurück, in dem sie einmal mit Mann und Kind gelebt hat. Nun ist der Mann, ein Architekt mit hochfliegenden Träumen, gestorben. Wir werden Zeugen einer „seltsamen Totenwache“. Orion, der ehemalige Gefährte, dem wir schon vor 20 Jahren in Gertrud Leuteneggers Roman „Pomona“ begegnet sind, liegt in der verriegelten Totenkapelle. Der Tote ist eine mythische Gestalt: Er wird immer geheimnisvoller, imposanter und impulsiver, je länger die Nacht dauert, je mehr sich die Erzählerin in ihren Erinnerungen verliert.
„Seine stoische Unempfindlichkeit jedem Wetter gegenüber ließ ihn als ein Fabelwesen aus einer anderen Klimazone erscheinen, zudem schlief er tagsüber meist und starrte nachts in den letzten vom lombardischen Dunst ausgesparten Tiefen des Himmels nach den Sternen.“