Entzweien wir uns
Erhard Schütz sieht Freundschaften verblühen und sucht Zuflucht in der Walachei
In Zeiten der hemmungslosen Befreundung wird naturgemäß nicht minder enthemmt entfreundet. Das giftigste, weil stilloseste Mittel ist da die Kündigungsmitteilung per SMS, oder gar öffentlich auf Twitter, wahlweise Facebook. Ein edles Mittel hingegen, das fast so gepflegt werden will wie die Freundschaft selbst, ist seit je der Streit. Charles de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu (1689 – 1755), den man leider oft nur als Vorbild für Marcel Prousts Baron de Charlus kennt, meinte gar, dass Freundschaft ohnehin nur die Vorstufe der Entzweiung sei.
Matthias Debureaux, dem wir schon Die Kunst, andere mit seinen Reiseberichten zu langweilen (Nagel & Kimche 2017), verdanken, hat sich dankenswerterweise der gediegenen Entzweiung angenommen. Er hat dafür nicht nur bedenkens- und fallweise nacheifernswerte Empfehlungen bei der Hand, sondern auch ein veritables Set an Beispielpaaren von Jobs und Gates, Sartre und Camus bis Jagger und Richards. Und wenn man nicht zu der Auskunft greifen mag, die Mario Vargas Llosa wählte, als ihn der inzwischen verfeindete Patenonkel seines Sohnes, Gabriel García Márquez, umarmen wollte, nämlich ihm einen Kinnhaken zu versetzen, dann ist man hier Allerbestens instrumentiert. Ein Zusatztipp: Man schenke im prospektiven Entfreundungsfalle einfach dies Büchlein.
Wenn eine Ehe in Freundschaft überführt worden ist, dann ist das möglicherweise die subtilste Form der Feindschaft. Doch nicht zuerst deshalb lohnt unbedingt die Lektüre des Buchs über die Beziehung von Dora und Walter Benjamin, nicht einmal unbedingt für Benjamin-Verehrende, kommt der hier doch – kaum zu Unrecht – nicht allzu gut weg. Sondern vor allem der Lebensgeschichte dieser so beeindruckenden Frau wegen, von der man im benjaministischen Kontext nie so ganz viel und nichts Gutes erfuhr, die aber gut und gerne für sich allein zu stehen vermag, nicht minder als andere schreibende Frauen jener Zeit.
1890 in Wien als Dora Kellner in eine strikt jüdische Familie geboren, von dieser zunächst mit einem Herrn Pollack verheiratet, dann zwölf Jahre Ehefrau Benjamins, war eine höchst gebildete, souverän emanzipierte Frau, die Chemie und Philosophie studierte, sich mit Schreiben, Übersetzen und als Redakteurin selbst alimentierte, unentwegt für die Rechte der Frauen kämpfte, und die Benjamin, der sich hatte scheiden lassen, später im Exil immer wieder Zuflucht in ihrer Pension in Sanremo gewährte. 1964 ist sie in London gestorben, bis zuletzt war sie eine imposante Frau.
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