Brutal und herzzerreißend
Ralf Rothmann erzählt von den Schatten der Gewalt
Der Berliner Schriftsteller versammelt in „Hotel der Schlaflosen“ fesselnde Geschichten des Unglücks. Sie reichen vom Moskau der Stalinzeit bis ins Ruhrgebiet.
FRANZISKA WOLFFHEIM
Die Exekutionen finden im Keller eines alten Moskauer Hotels statt, weil es im Butyrka-Gefängnis zu eng geworden war. Wassili Blochin, sowjetischer Offizier, erschießt Menschen im Akkord, ohne mit der Wimper zu zucken, ein routinierter Handwerker des Todes.
Einer der Gefangenen, die zum Tode verurteilt sind, ist der Dichter Isaak Babel. Blochin kennt den Autor, er hat dessen Erzählzyklus „Reiterarmee“ mehrfach gelesen. Anstatt sein Opfer sofort zu erschießen, nimmt er sich Zeit: Bietet ihm etwas von den Piroggen an, die seine Frau ihm fürs Mittagessen zubereitet hat, bittet Babel, eines seiner Bücher zu signieren. Der Autor mit seinen gefolterten Händen ist dazu nicht mehr in der Lage und kann nur noch seine Fingerabdrücke hinterlassen.
Kurze Zeit später stirbt er lautlos, erschossen von Wassili Blochin, 1940. Mitte der fünfziger Jahre wird Isaak Babel rehabilitiert. Und Blochin versucht vergeblich, das signierte Werk in einem Antiquariat zu verkaufen – keiner glaubt ihm, dass die Fingerabdrücke echt sind.
„Hotel der Schlaflosen“, die großartige Titelgeschichte des neuen Erzählbands von Ralf Rothmann, ist brutal und herzzerreißend. Das liegt vor allem daran, dass sie aus der Perspektive des perfiden Peinigers geschrieben ist, der mit seinem Opfer Katz und Maus spielt und ihn für einige Momente in der Illusion wiegt, es könne vielleicht doch noch Rettung für ihn geben.
Die Erschießung Isaak Babels durch Wassili Blochin ist historisch verbürgt, Blochin war einer der fleißigsten Mörder in der Zeit der stalinistischen Säuberungen. Später, 1955, hat er sich offenbar selber das Leben genommen.
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https://www.tagesspiegel.de/kultur/bruta...t/26595396.html
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