Opa Pscht hatte geladen. Nein, ausnahmsweise diesmal nicht seine mündliche Artillerie, eine gefürchtete Rhetorik von weit jenseits jeglicher vernünftigen Vernunft, die zermürbend konstant alle Säulen sicher gewähnter Identität mit Zweifeln beschießt, sondern zum zwanglosen Aufräumen seiner messikesken Hallen. Die Sammlung magischer Artefakte hatte einen kritischen Wert erreicht und drohte Löcher in die Realität zu bohren. Das konnte üble Folgen nach sich ziehen. Tenktakelmonster aus der maßlosen Fülle sämtlicher Unwahrscheinlichkeiten und so.
Alice und Markus holen den Zauber aus überbordenden Regalen, füllen eine Transportkiste nach der anderen, während Opa Pscht bequem aus seinem, aus gepunztn Saurierleder bezogenen Sessel auf noch nicht eingefangene Wollmäuse und Hexensprüche hinweist, dabei Pfeife raucht und gelegentlich an etwas Jungbrunnenwasser nippt.
„Brauchen wir das?“ Markus hält eine kleine verbeulte Kindertrompete in den Händen und dreht sie unschlüssig hin und her. Ein aus Wollmäusen mutiertes Fuselkänguru nutzt die Gelegenheit, sich leise hoppelnd aus dem Haus zu schleichen und ein Verkehrschaos auf der A 1,618 zu verursachen.
„Nur wenn wir Bedarf an 10.000 Schattenkrieger in vollster Montur haben. Haben wir aber nicht. Also, weg damit. Nicht reinpusten! Auf gar keinen Fall hineinpusten!“
„Was ist das denn?“ Alice zieht ein Päckchen aus Pergament hinter dem Sofa hervor Ein brüchiges Siegel verweist auf das Jahr 325 nach Chr. Alice kann da nichts für, aber immer öfter ertappt sie sich bei seltsam fragenden Überlegungen. Der Umgang mit Opa Pscht färbt wohl ab: „Besser als 325 vor Christus, allerdings genau so unglaubwürdig. Schließlich lebte Dionysius Exguus, als Begründer der christlichen Zeitrechnung erst um plus 750.“
Opa runzelt die Stirn. „Hum, ich glaube das ist eines der verlorenen Genesis Exemplare. Konstantin hatte im Konzil zu Nicäa mehrere Versionen der alten und neuen Testamente vorliegen gehabt und sich dann für eine mosaische Fassung entschieden. Nur eine einzige Abschrift konnte vor dem Scheiterhaufen gerettet werden.“
„Und du hast das Päckchen nie geöffnet?“ Alice geling es mühelos recht vorwurfvoll zu klingen, aber Opa winkt nur gelangweilt ab.
„Was soll ich mit wüsten Spekulationen? Mir ist nach Wahrheit, auch wenn sie nicht tröstet und ständig mit neuen Fragen antwortet, anstatt so lange zu erklären, bis selbst ich es kapiere. Was könnte da schon Großartiges geschrieben stehen?“
Markus kommt näher, - viel zu näher! Alice dreht sich unauffällig etwas zur Seite. Wenn es etwas gibt, das sie mehr hasst als in Rätsel gehüllte mysteriöse Geheimnisse, ist es ein dicht stehender Markus, der ihr in den Nacken pustet und wir wissen doch alle, wohin das führen muss, wenn tiefsitzende Antipathie seine Netze zwischen den Geschlechtern webt. Hass ist bloß invertierte Liebe und entsprechend attraktiv.
Vor dem Happyend allerdings gilt es noch ein Päckchen zu öffnen, findet Alice und Opa Pscht ist es egal.
„Das ist ja in Aramäisch.“ Anklagend hält Alice mürbes Leder hoch und Opa Pscht nickt freundlich.
„Ja, in hieroglyphisch oder in sumerischer Keilschrift ist gerade ausgegangen. Da, hinter dir in der Schublade, müsste eine Babelbrille liegen. Damit kann man sogar Knotenschrift lesen und verstehen.“
Alice findet ein altes, schiefes Drahtgestell ohne Gläser, setzt es auf und liest laut vor:
I. Am Anfang wurde das Universum innerhalb weniger Tage aus herumliegenden Teilen zusammengefummelt, was natürlich die Qualität nachhaltig beeinflusste. Der Herstellungsprozess selber war zusätzlich noch dermaßen dilettantisch geplant, dass jeder Azubi von seinem Meister zusammengeschissen worden wäre, wenn, ja, wenn es damals überhaupt einen Meister gegeben hätte. Selbst Azubis gab es noch nicht, sondern nur einen Hobbyschöpfer ohne Erfahrungen mit solch komplexen Konzepten, der dem Prinzip ‚Trial and Error’ frönte, getreu dem ewigen Mantra jeglichen Fortschrittes: Mal sehen, was passiert, wenn wir alles durcheinander bringen und dann ordentlich schütteln.
Opa merkt auf. „Hört sich verdammt authentisch und richtig an. Sollte hier ein echter Tatsachenbericht vorliegen. Wer ist denn der Verfasser? Steht da irgendwo ein Name?“
„Hier steht Lutz i’Fer.“
„Wie? Der Rebell und gestürzte Engel?“
„Keine Ahnung. Mehr gibt das Impressum nicht her.“
„Lies einfach weiter. O.K.?“
II. Es gab also keine Kontrolle durch jemanden mit Erfahrung im Erstellen von kosmischen Projektabläufen.
III. Am Anfang erst mal das Licht einzuschalten liest sich ja erstmal ganz gut, dann sieht man wenigstens was man da so liest und liest nicht aus Versehen etwas Verkehrtes, aber vier Tage zu benötigen um auf die nahe liegende Idee zu kommen, auch an eine Sonne und andere Sterne zu denken und das Himmelsgewölbe zu vervollständigen, welches man in seiner Ungeduld schon am zweiten Tag fabrizierte, zeugt doch von extremen Unverständnis für logisch-kausal geplante Produktionsschritte.
IV. Wie kann man nur alles so verwirrt chaotisch angehen? Dieser völlig überflüssige Versuch, am zweiten Tag schon ein Himmelsgewölbe zu errichten, mit Firmament und allem, noch bevor die Milchstraße und das ganze Restmultiversum fertig konstruiert sind, provoziert die Vermutung, dass Pfusch als Wesenheit doch schon lange vor der Schöpfung längst existierte.
V. Auch das Bemühen am dritten Tag die Landtiere zu kreieren, war zum Scheitern verurteilt und wird hier nicht weiter erwähnt, wie uralte, authenische, selbst geschriebene Randnotizen beweisen. Nach einigen misslungenen Versuchen setzte sich die Erkenntnis durch, doch erst mal die Wasser vom Land zu trennen und anschließend Schlange, Äpfel und Bäume aus zu topfen.
VI. Nun war die Bühne bereitet für das größte Missverständnis aller Zeiten: Menschen! Getrennt nach Geschlechtern. Meine Güte aber auch, musste das denn wirklich sein, wo es doch so schöne, weniger stressige Methoden gibt, seine Gene weiter zu reichen? Zum Beispiel: Ableger, Zwitter, Klonen, Zellteilung…
VII. Vielleicht hat der Schöpfer mehr Humor, als zulässig.
VIII. Und was macht er anschließend? Er murmelt was von: „...und siehe, es war gut“, und ruht sich voller Selbstzufriedenheit aus, nennt es Sabbat und heilig, anstatt den ganzen Schlamassel irgendwo zu verstecken, wo ihn keiner findet.
Opa stopft sich ein erneutes Pfeifchen. Markus überlegt, ob er sich nicht auch das Rauchen angewöhnen sollte, Alice denkt: ‚Ableger, Zwitter, Klonen, Zellteilung…“
Dann hebt Opa an zu sprechen und Ozymandias hätte beschämt geschwiegen. „Wir packen dieses Exemplar einfach wieder weg. Muss ja keiner vorgesagt bekommen, was er selber schlussfolgern könnte, wenn er nur etwas nachdenken würde. Markus? Da neben dir steht ein Entropiebehälter. Dort entsorgen wir dieses blasphemische Exemplar für kommende Generationen. Diese Wahrheit ist zu unbedeutend. Sie macht die Welt nicht besser und es besteht immerhin die Möglichkeit, dass die Welt dadurch schlechter werden könnte.“
Markus tut wie geheißen und Alice schnaubt verächtlich. „Opa, du mogelst schon wieder enorm. Die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit …?“
„… so wahr ich ihr helfe…“
Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!
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