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Mathias Énard: Wie ein Fremder aufs Dorf und seine Geschichte schauen
Mathias Énard ist ein außergewöhnlicher Schriftsteller. Mit seinem Roman "Das Jahresbankett der Totengräber" kehrt er in die Gegend seiner Kindheit im Westen Frankreichs zurück "La Pierre-Saint-Christophe liegt in der Mitte eines Dreiecks, dessen Spitzen Saint-Maxire, Villiers-en-Plaine und Faye-sur-Ardin bilden." In diesem Dorf hat sich der angehende Anthropologe David Mazon niedergelassen, um Feldforschungen für seine Doktorarbeit zu betreiben. "Das wilde Denken" nennt er seine Unterkunft im hinteren Teil eines Bauernhauses in Anlehnung an Claude Lévi-Strauss, der neben Bronisław Malinowski sein großes Vorbild darstellt. "Zu verstehen, was es bedeutet, heute auf dem Land zu leben", formuliert er in seinem "ethnographischen Feldtagebuch" das Ziel seiner Arbeit. Mathias Énard ist mit seinem Roman Das Jahresbankett der Totengräber, den er seinem 2019 verstorbenen Vater widmet, ins Deux-Sèvres, das Gebiet seiner Kindheit, zurückgekehrt. In Niort, 15 Kilometer entfernt von jenem Dorf La Pierre-Saint-Christophe, das der Taxifahrer trotz der genauen Koordinatenangaben nur schwer zu finden vermag, ist er aufgewachsen.
Doch wäre es nicht ein Roman aus seiner Feder, wenn in ihm nicht jene Erfindungsgabe stecken würde, die charakteristisch ist für Énards Œuvre, in dem historische Figuren erfundene Geschichten erzählen und erfundene Figuren von historischen Ereignissen berichten. So gibt es dieses Dorf mit seinen 649 Einwohnern, die sich "laut Wikipedia" Petrochristophorer nennen, seinem Bürgermeister und seinem Café, "in dem man das Notwendigste findet, das heißt Angelhaken, Zigaretten und Angelkarten", in Wirklichkeit gar nicht. Es ist eine literarische Erfindung.