Ali Smith: „Frühling“
Zwischen Literatur, Legende und ernüchternder Gegenwart
Ali Smith legt den dritten Teil ihrer hochgelobten Jahreszeiten-Tetralogie vor. In der Psyche ihrer Figuren spiegelt sie den Zustand Englands. „Frühling“ erzählt von einem trauernden Filmemacher, von der historischen Begegnung zweier Schriftsteller und von einem Mädchen, das das Gute in die Welt bringt.
Von Christoph Schröder
Wie schon den Vorgängerroman „Winter“ eröffnet Ali Smith auch ihr neues Buch mit einer im Stakkato vorgetragenen Tirade. War es in „Winter“ ein Abgesang auf das soziale und kulturelle Leben, auf Religion, Poesie und Kommunikation, so verschärft Smith in „Frühling“ den Tonfall noch einmal. Die Erzählstimme, die hier anhebt, schreit uns an, in Groß-und Kleinschreibung, mit Aggressivität und Wut. Es ist das Tosen der sozialen Medien und populistisch aufgeheizten Einpeitscher, das Smith zum Auftakt collagiert:
„Wir wollen Mächtige, die sagen, sie wollen andere Mächtige kleingehackt in Tüten in meinem Eisschrank, wir wollen Muslimas in Kolumnen verhöhnt, wir wollen Gelächter, der Klang des Gelächters soll ihnen auf Schritt und Tritt folgen. Wir wollen, dass die, die wir Fremde nennen, sich auch fremd fühlen, wir müssen klarstellen, dass sie erst Rechte haben, wenn wir sie ihnen zugestehen.“
Das an allen Ecken und Enden zerbröselnde, sich moralisch und ökonomisch in Schieflage befindliche, einstmals große England ist das eigentliche Thema von Smiths Jahreszeiten-Tetralogie. Den Zustand des Landes, „Frühling“ spielt überwiegend im Jahr 2018, führt Smith immer wieder geschickt über in die depravierte Psyche ihrer Figuren. In „Frühling“ ist es ein Trauernder, dessen Gefühlsleben Ali Smith in ihrer gewohnt geschmeidigen, immer wieder überraschend anschaulichen und zugleich hochliterarischen Sprache abbildet.
Richard Lease, ein halbwegs bekannter Film- und TV-Regisseur hat vor zwei Monaten seinen Lebensmenschen verloren. Paddy war 17 Jahre älter als Richard und ist nun im Alter von 85 Jahren gestorben. Sie war nicht nur Richards Drehbuchschreiberin, sondern auch Ratgeberin, zwischenzeitlich Geliebte und stets künstlerisches Vorbild. In seiner Trauer setzt Richard sich in einen Zug Richtung Nordschottland, landet in einem Kaff namens Kingussie und fasst dort einen Entschluss:
„Wenn der nächste Zug an diesem Bahnhof durchkommt und anhält, wird er sich in einen Spalt zwischen einem Wagen und dem Bahnsteig herablassen und sich vor den Rädern über die sauberen, gepflegten Schienen legen.“
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