Fikry El Azzouzi: Sie allein
Schlimmer geht immer: Fikry El Azzouzi radikalisiert Europa und hofft auf die Liebe
Auf der Frankfurter Buchmesse war Fikry El Azzouzis Wir da draußen einer der Romane der Stunde. Kein Wunder, das Thema ist aktuell wie nie: Der 39-jährige Belgier beschreibt in seinem Buch, wie vier Jugendliche, meist mit Migrationshintergrund, in einer flämischen Kleinstadt im Laufe der Zeit für radikale Ideen empfänglich werden. Für den Islamismus. Er erzählt allerdings auch, wie die belgische Mehrheitsgesellschaft solche Jugendlichen aufgegeben hat und ihnen geradezu feindlich gegenübersteht. Nun ist El Azzouzis neuer Roman Sie allein auf Deutsch erschienen . Er könnte wieder so ein Buch der Stunde werden. Ayoub, ein Flame mit marokkanischem Migrationshintergrund , den wir bereits aus dem Vorgänger von Sie allein kennen, wird im Restaurant All Cook Up als Tellerwäscher eingestellt. Ich-Erzählerin Eva, Co-Besitzerin des Restaurants, nennt ihn zwar anfangs abfällig Abu Abwasch. Aber sie flirtet auch mit ihm, selbst, wenn sie nichts anbrennen lässt, da sie verheiratet ist. Doch wir ahnen es: Ayoub und Eva kommen doch noch zusammen.
Allerdings liegen dunkle Schatten über dieser Beziehung: In Belgien wie in der gesamten westlichen Welt herrscht immer mehr eine Atmosphäre der Intoleranz und des Hasses. Sie wird durch islamistische Terroristen, die tödliche Anschläge verüben und Beamte ermorden, um deren abgeschnittene Köpfe auf Silbertabletts zu präsentieren, noch weiter angeheizt. Gegen solchen Terror formiert sich rechter Widerstand: Die „Ritter Europas“ treten auf den Plan, selbst ernannte Verteidiger des Abendlandes. Nicht von ungefähr erinnern diese Gestalten an die neuen Tempelritter, die sich der rechtsradikale Massenmörder Andres Behring Breivik herbeifantasierte. Die Politik spielt ebenfalls keine rühmliche Rolle: Bürgerliche Politiker lassen sich von Angst und Wut treiben, radikalisieren sich immer mehr und übernehmen schließlich Forderungen Rechtsextremer. Es werden keine Flüchtlinge mehr aufgenommen, das Asylrecht ist abgeschafft.
Nach einem Referendum darf der Koran nicht mehr verkauft werden. Die Europäische Union erwägt, ihre Menschenrechtskonvention und gar die Genfer Konvention neu zu verhandeln. Schon bald werden Muslimen, die Belgien freiwillig verlassen, Prämien angeboten. Viele nehmen das Angebot an, auch wenn sie kein Wort Arabisch oder Türkisch sprechen und Flandern als Heimat begreifen. Doch die aufgeheizte Stimmung halten sie nicht mehr aus. Manche bezeichnen sich gar als „neue Juden“. In diesem soziopolitischen Szenario erscheint das „Mulitkulti“-Paar Eva und Ayoub wie eine gelebte Utopie. Trotz normaler Beziehungsprobleme, wie sie jede Partnerschaft kennt, werden mit der Zeit die Vorurteile, die man voreinander hat, weniger. Die Liebe vermag etwas, was die Gesellschaft nicht mehr kann, nämlich Verständnis zu erzeugen. Das hätte schnell kitschig werden können, doch El Azzouzi bleibt nüchtern. Er versteht es, seinen Text mit einer ordentlichen Prise Sarkasmus und Humor zu versehen – was man vor allem bei den Dialogen spürt. Hier blitzt der Dramatiker auf, der bisher etwa zehn eigene Stücke auf die Bühne gebracht hat.
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