F. W. Bernstein: Frische Gedichte
Der 78-jährige Satiriker F. W. Bernstein hat „Frische Gedichte“ verfasst. Darauf haben die Fans gewartet
E s soll 1963 passiert sein, auf einer Autofahrt mit Robert Gernhardt. F. W. Bernstein dichtete: „Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche.“ Was Versen sonst selten blüht, geschah, der Vers wurde zum legendären Sprichwort.
Bernstein, 1938 in Göppingen geboren, ist das letzte noch lebende Mitglied der sogenannten Neuen Frankfurter Schule, die in den 1960ern aus der Redaktion der Satirezeitschrift Pardon hervorging. Der Vers, der zum Namensgeber für einen Satirepreis, den Göttinger Elch, oder linke Etablissements wie den Elchkeller der Hannoveraner Universität wurde, der es in Todesanzeigen schaffte und in die Bild, lässt sich aber ohne die berühmte Karikatur dazu kaum denken. Hans Traxler hatte Elche gezeichnet, gehüllt in graue Mäntel, auf den Köpfen breitkrempige Hüte, aus denen in knalligen Farben die Geweihe der Elche hervorragen. Verschlagen grinsend stehen sie wie zum Familienfoto vor einem angedeuteten Alpenpanorama.
Bleiben wir kurz bei den Elchen. Satire will das Versteckte, das Charakteristische in übertriebener Weise sichtbar machen. Bernsteins Vers geriet durch die Karikatur noch komischer: Die Elchgeweihe farbig auszumalen, die ungestalten Elchnasen noch plumper zu zeichnen, das lässt die Elchhaftigkeit der Elche umso deutlicher hervortreten. Die dunklen Mäntel erinnern an die Mäntel der SS. Sie verstärken den Kontrast zwischen Lächerlichkeit und Drastik, was maßgeblich zum Erfolg der Satire (und des Plakates, das ja über Jahre gefühlt in jeder linken WG hing) geführt haben dürfte.
„Unter den Talaren“, sagt die Karikatur, lauert nicht nur der „Muff von tausend Jahren“, sondern auch die nicht zu verhüllende menschliche Tiernatur, das Unzivilisierte, auch das Barbarische, dem Hitlers Schergen das Feld überließen. Es ist diese Mischung aus Wort und Bild, das Comichafte, derentwegen die Werke der Vertreter der Neuen Frankfurter Schule so große Wirkung erzeugten.
Nun legt der Dichter, Karikaturist, emeritierte Professor für Karikatur und Bildgeschichte F. W. Bernstein einen neuen Band vor: Frische Gedichte. Er umfasst rund 130 Gedichte, es gibt keine Illustrationen. Nicht wenige Gedichte bleiben in ihrer Komik etwas harmlos. Das mag daran liegen, dass Satire als Reaktion auf etwas schon Vorhandenes zwar komisches Potenzial birgt, wenn sie Typisches überzeichnet. Dass sich aber zu dieser Überzeichnung im besten Fall noch etwas Originäres oder Überraschendes, die Vorlage Überschreitendes gesellt – wie es eben mit der Elchkarikatur gelungen ist, die auf die mangelhaft aufgearbeitete historische Vergangenheit der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg abzielt –, ist eher selten.
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