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Lukas Bärfuss: „Hagard“

#1 von Sirius , 21.06.2022 16:15

Lukas Bärfuss: „Hagard“

 Lukas Bärfuss mag es doppelbödig. „Hagard“, seine Stalking-Geschichte, hat er düster verrätselt

Philip ist ein Geschäftsmann in den mittleren Jahren, der kurz vor dem Abschluss eines wichtigen Geschäftes steht. Im Zürcher Feierabendgedrängel fällt ihm eine Frau auf, der er zu folgen beginnt; durch die Innenstadt erst, dann, sich einer unheilvollen Eingebung anheimgebend, in die Vororte, wo sie offensichtlich wohnt und wo er vor ihrer Tür eine Nacht im Auto verbringen wird. Nach und nach verliert er seine Verpflichtungen aus den Augen – ein Geschäftstreffen, der Sohn, der bei der Tagesmutter untergebracht ist –, verliert seinen Wagen, seine Geldbörse und einen Schuh, bis er nach einem neuerlichen Tag auf ihren Spuren auf ihrem Balkon landet. Das Gesicht der Frau hat er den ganzen Roman über nicht sehen können.
Aus dieser kurzen Zusammenfassung könnte man schließen, das zentrale Thema von Lukas Bärfuss’ neuem Roman Hagard wäre Stalking; das allerdings wäre ein Irrtum. Um die Frau, der Philip folgt, geht es nur am Rande, sie interessiert ihn nicht. Es geht ihm gerade nicht darum, Kontrolle über sie zu erlangen, wahrscheinlich hat sie bis kurz vor dem Ende der Verfolgung Philips Existenz nicht einmal wahrgenommen. Noch bevor er sie zu fassen bekommt, hat er die junge Frau bereits in Einzelteile zerlegt.

Was er von ihr wahrnimmt, sind Gesten und einzelne Körperteile; eine makellose Wade, den Hals, ihre Art, sich über einen Trinkbrunnen zu beugen, ihren Körperduft. Sie ist ganz Baudelair’sches Objekt, Leinwand seiner Projektionen, die er sich zu erklären versucht, die er sich aber auch nicht eingestehen kann.

Projektionen, deren Opfer er am Ende selbst wird. Es ist ein Wahn, der ihn befällt, der sich vordergründig durch nichts erklären lässt. Lukas Bärfuss lässt seinen Erzähler gleich zu Beginn erklären, dass zwar alle Umstände geklärt seien, alle Details offenlägen, aber doch der Versuch vergeblich sei, einen Zusammenhang in den Bildern zu finden; die Einzelheiten blieben auch bei längerer Betrachtung rätselhaft.
Philip ist kein Sympath; niemand, der zu Identifikationen einlädt. Er entwickelt mehr Mitgefühl mit einem ramponierten Hausschuh als mit jedem ihm begegnenden Passanten. Er interessiert sich leidlich für den gerade stattgefundenen Absturz der Malaysia Airlines MH370, aber die Gesichter seiner Mitmenschen flößen ihm nichts als Ekel und Abscheu ein. Selbst jene, die er kennt – seine Mitarbeiterin Vera, die Tagesmutter des Sohnes –, taxiert er mit distanzierter Kälte und Herablassung. Philip ist, so erfolgreich er bisher auch gewesen sein mag, nicht eingebettet in ein soziales Leben, er führt keine Beziehungen, er unterhält sie bloß.

Weiterlesen:

https://www.freitag.de/autoren/der-freit...leben-verlieren


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Sirius
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