Simone Meier: „Fleisch“
Der Roman „Fleisch“ erzählt vom Begehren, von Beziehungen – von traurigen Veranstaltungen
Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Hier fangen eigentlich alle Missverständnisse an. Oder soll man es gar nicht „Missverständnisse“ heißen? Handelt es sich nicht viel mehr um böse Absichten eines Geistes, der all seine Schwächen praktischerweise dem Fleisch andichten kann? Widersprechen kann das Fleisch nicht. Der Geist will Sport machen, will weniger Rotwein trinken, mit dem Rauchen aufhören. Der Geist wollte auf gar keinen Fall das ganze Nutellaglas leer löffeln! Aber das Fleisch wollte es so, und das hat es nun davon: Hüftgold und Zellulitis. Nur ein Schönheitschirurg könnte das Problem noch halbwegs in den Griff bekommen – kurz denkt Anna, eine der Protagonistinnen in Fleisch, über die Idee nach, einem Schönheitschirurgen 10.000 Euro zu zahlen, dass er ihre Schenkel in eine apartere Form bringt. Aber der Kerl, der sie – was natürliche Lösungen wie Sport anbelangt – für einen hoffnungslosen Fall hält, ist ein gnadenloser Repräsentant einer patriarchalen Ordnung, die auf den abgeschmackten Kapitalismus schwört, der Frauen mit Schönheitsidealen konfrontiert, an denen der Chirurg selbst sich freilich nicht messen muss. Nein, Anna lässt nicht an sich herumschnippeln.
Kritiker schreiben oft von der Magie des ersten Satzes in einem Roman, und was das anbelangt, muss man Simone Meier als Gewinnerin betrachten: „Der Mann sah aus wie eine geschälte Kellerassel, und sie fragte sich: Wieso sind Schönheitschirurgen nie schön?“ Was passiert mit der Magie nach dem ersten Satz? Simone Meier stellt uns Max vor. Max und Anna, um die 40 Jahre alt, pflegen eine leidenschaftslose Beziehung. Obwohl der Begriff Beziehung schon irreführt, im Grunde haben sie nur leidenschaftslosen Sex. Zu den beiden gesellt sich Lilly, eine junge Frau, die mit ihrem kleinen Bruder, ihrem Mitbewohner Alex und der comichaften Schönheit Sue in einer WG lebt. Schnell wird klar, dass sich die Geschichten von Anna, Max und Lilly zu einem Gewebe verbinden werden. Handlungsmotor ist dabei immer das Begehren. Aber egal, ob Lilly versucht, ihren Mitbewohner Alex zu einem WG-Stelldichein zu überreden, Max eine Prostituierte frequentiert oder Lilly Anna betastet. Ehrliche Befriedigung suchen alle vergebens.
In Fleisch gibt es keine Fleischeslust. Fleisch und Lust bleiben einander fremd. Sex ist alles in allem ganz lieblos, wirklich traurig eigentlich. Vielleicht ist Sex immer traurig; das mag einer der Gründe sein, warum Girls eigentlich keine gute Serie ist.Man sieht nur junge Menschen, die frustrierenden Sex haben und an ihren Körpern leiden. Dass in Fleisch sowohl Anna als auch Max ihr Begehren auf die bleistiftdünne, also eher fleischlose Lilly richten, ist da nur folgerichtig neurotisch.
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