Simon Froehling: „Dürrst“
Bedeutungsschwer: Simon Froehling deutet in seinem neuen Roman „Dürrst“ an, dass wir alle krank sind. Das stört. Aber vielleicht meint er es nicht so?
„Du bist gesund genug, dich zu verlieben“, sagt sich der Single Andreas Durrer, genannt Dürrst, ehe er nach einem Athen-Urlaub nach Zürich zurückfliegt. Sein Job im Museum wartet. So beginnt das lang erwartete Zweitlingswerk Dürrst des schweizerisch-australischen Schriftstellers und Dramatikers Simon Froehling, Jahrgang 1978. Der im Kanton Aargau geborene Autor hatte 2010 mit seinem fiebrigen Debüt Lange Nächte Tag für Furore gesorgt; der Roman fing das Lebensgefühl von jungen Schwulen in den Nullerjahren ein im Spannungsverhältnis zwischen Casual Sex und bedingungsloser Liebe. Autor Froehling ist zudem ein toller Stückeschreiber. So sind etwa Mashup und Feindmaterie in der Berliner Schaubühne aufgeführt worden. Momentan arbeitet er im Tanzhaus Zürich als Dramaturg.
Zurück zum aktuellen Roman: Kaum hat der Enddreißiger Dürrst beschlossen, gesund genug für die Liebe zu sein – Dürrst hat eine bipolare affektive Störung, sprich er ist manisch-depressiv –, trifft er in Zürich in der Sauna des Fitnessstudios auf Paul, sie lernen sich kennen, landen im Bett. Dürrst hat Angst, dass er Paul nicht mehr wiedersieht, doch sie treffen sich bald häufiger, verlieben sich. Dürrst erzählt Paul auch von seiner Krankheit, die er den „schwarzen Hund“ nennt. Dabei hat er auch hier die Furcht, dass Paul mit dieser Diagnose nicht umgehen kann. Oder ihn fallen lässt. Doch dem ist nicht so.
Allerdings vergisst Dürrst ab und an seine Medikamente, da er sich auch vermeintlich gesünder fühlt, und nimmt Kokain. Wir ahnen schon, dass das nicht gut ausgeht. Die manische Phase gewinnt die Oberhand: Dürrst kündigt seinen sicheren Museumsjob, widmet sich der Kunst. Denn viele Jahre zuvor ist er ein Shootingstar des Kunstbetriebs gewesen. Mit zwei Installationen ist er bekannt geworden. Seine neueste Idee: Ein Porträt seiner selbst, zusammengesetzt aus allem, was ihn umgibt. Seine Freunde merken, dass er an einem Kipppunkt steht. Doch der manische Dürrst will davon nichts wissen – mit fatalen Folgen.
Autor Froehling gelingt es, der Krankheit Bipolare Störung – ähnlich wie der Schriftsteller Thomas Melle mit Die Welt im Rücken (2016) oder seinem jüngsten Roman Das leichte Leben (der Freitag 38/2022) – eine würdige Sichtbarkeit zu geben. Laut Deutscher Gesellschaft für Bipolare Störungen dauert es etwa acht Jahre, bis die Krankheit diagnostiziert wird; erschreckend ist daneben das zehn bis zwanzig Mal häufigere Suizidrisiko von Betroffenen gegenüber der restlichen Bevölkerung.
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