Mircea Cartarescu: „Melancolia“
Es ist schrecklich, es hat eine Schönheit: Mircea Cartarescu umkreist in „Melancolia“ den Menschen in seiner Wahrnehmungsblase
Wenn der Mensch ein Kind ist, hat die Welt oft noch nichts Festes. Sie besteht aus Sinneseindrücken, die das Kind interpretiert und weiterspinnt, sich im phantasievollen Spiel einen eigenen Kosmos schaffend. Versatzstücke aus der wirklichen Welt tauchen darin oft in verwandelter Form auf; sie übernehmen gleichsam Rollen, ändern ihre Bedeutung, durchlaufen Metamorphosen.
Später, wenn das einstige Kind älter geworden ist, nimmt auch die Welt um es herum konkretere Formen an, wird solider, weist dem nun erwachsenen Individuum einen festen Platz zu. Die meisten Menschen nehmen diese Entzauberung mit einer gewissen Erleichterung an, liegt doch in einer Welt mit festen Konturen und Regeln auch eine große Sicherheit. Doch ab und zu gibt es ein Individuum, das sich diesem Ausweg aus der existenziellen Unsicherheit verweigert und Künstler oder Dichterin wird.
Mircea Cartarescu ist (neben einer Laufbahn als Lehrer, Universitätsdozent und Literaturredakteur) Dichter geworden. 1956 in Bukarest geboren, verlebte er einen großen Teil seines Lebens im Rumänien von Nicolae Ceau-sescu. Erst nach dem Sturz des Diktators und dem Fall des Eisernen Vorhangs begann Cartarescu, der bis dahin vor allem Gedichte geschrieben hatte, in größerem Stil Prosa zu veröffentlichen.
Melancolia“, ins Deutsche übertragen von Cartarescus langjährigem, wohl kongenial zu nennenden Übersetzer Ernest Wichner, führt die wiederkehrenden Themen seiner Texte nun weiter zurück in der Zeit. Auch der Bukarester Kosmos des opulenten Romans „Solenoid“ hatte sich aus der Biografie des Autors selbst gespeist, hatte das wenig glamouröse Leben eines jungen Lehrers verwandelt in eine surrealistisch-visionäre Phantasmagorie. „Melancolia“ nun umkreist in kürzeren Texten, die man mangels anderer Begrifflichkeit Erzählungen nennen kann, die Konzepte Kindheit und Jugend. Die Texte bilden einen in sich abgeschlossenen Zyklus, mit einem Prolog und einem Epilog und dazwischen drei längeren Erzählungen.
Mircea Cartarescu: Melancolia. A. d. Rumän. v. Ernest Wichner. Zsolnay. 272 S., 25 Euro.
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