Mareike Krügel: Alle wissen hier alles
Der Roman "Alle wissen hier alles" besticht durch seine pointierten Dialoge und die vielen kleinen Szenen, in denen Mareike Krügel sich einmal mehr als kluge und sehr genaue Beobachterin erweist.
von Katja Weise
Sicherheit ist ein großes Thema in diesem Roman, und gleichzeitig gibt es - keine. Denn Martina Voß, die mit ihrer kleinen Tochter Annalena in dem alten, von ihrer Großmutter geerbten Haus in Niewohld lebt, weiß schon lange nicht mehr, auf wen oder was sie sich verlassen kann. Seit einer traumatischen Missbrauchserfahrung als Zwölfjährige, ist sie auf der Flucht - vor sich und vor dem Leben. Allein in der Verantwortung für Annalena findet sie Stabilität. Dann trifft sie, als sie Annalena morgens zum Kindergarten bringt, auf Kasia:
"Was ist dir denn passiert?", fragte ich. Sie ließ das Taschentuch sinken, und der Anblick des hühnereigroßen Blutergusses mit dem aufgeplatzten Riss in der Mitte ließ mich zusammenzucken. "Bin gegen einen Schrank gelaufen, ich Dussel."
Martina bietet an, Kasia zum Arzt zu fahren. Als diese ablehnt, scheint die Sache klar:
"Alle Männer sind krank", sagte ich. "Wie bitte?" "Das war ein Zitat." Ich hielt ihr die Hand hin. "Und jetzt gehen wir zu mir."
Kasia zieht mit ihrer Tochter Danuta bei Martina und Annalena ein. Die beiden Mädchen werden unzertrennlich, die Mütter ebenfalls. Abend für Abend sitzen die Frauen bei "Apfelkuchen", einer Mischung aus Apfelsaft und Wodka, zusammen, dazu erfindet Martina Geschichten von gemeinsamen Urlauben und mehr. Die Menschen im Dorf reagieren misstrauisch und irritiert, Gerüchte kursieren. Martina kümmert das zunächst nicht, und da Mareike Krügel aus ihrer Perspektive erzählt, bleiben auch die Leserinnen und Leser über vieles im Ungewissen. Wer ist Kasia eigentlich? Hat ihr Mann sie tatsächlich geschlagen? Martina wird nie nachfragen. Sie stellt sich Zusammenhänge vor, findet in der Sorge um Kasia Halt: Kasia schweigt, meistens, ist dann plötzlich von erstaunlicher Hellsichtigkeit:
"Du bist eine liebe Person, Martina Voß", sagte Kasia (...), "Aber du hast genauso von mir profitiert wie ich von dir. Dein Leben ist so leer und ziellos, und mich zu retten, war irgendwie wenigstens eine Aufgabe für dich."
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