Donnerstagmorgen
Dortmund hat gestern 0:4 verloren, die Bayern verloren 1:2.
Mit diesen Gedanken wache ich auf. Gähn. Ich liebe es, wenn schon beim Erwachen der Tag versaut ist.
Ich muss einkaufen. Zettel machen, hin und rein, einkaufen und wieder raus.
Uhrenvergleich. Küchenuhr sagt 7 Uhr 42, Wecker 7 Uhr 38, Handy 7 Uhr 40, Armbanduhr 7 Uhr 39. Läuft. Die Zeit ist eingekesselt. Ich flaniere los.
Vor mir ein Typ in Multifunktions-Hose: Der Arsch lässt sich wahlweise auch am Knie tragen. Interessant. Sieht aber aus, als führte er seinen Durchfall spazieren. Schließe auf. Hat Stöpsel im Ohr. Sehr schön. Fördert die Schmalzproduktion. Spricht. Mein im Hirn integriertes Spracherkennungssystem registriert:
„Hä?“ und „Nee, Alter, kannste knicken.“
Check und Analyse. Studiert bei Facebook Lol-Grammatik. Besitzt Wort- und Satzprothesen. Baut Buchstaben wie Kleinkinder Legosteine zusammen. Wahrscheinlich Student, der später mal Taxifahrer werden will.
Schlacksig, doof, Proll. Die Kimme leicht sichtbar durch den gekonnten Sitzmechanismus der Hose. Ein Frauentyp.
Kreuzung. Ein Auto nimmt einem anderen die Vorfahrt.
„Idiot“, schimpft der Typ, „hier ist rechts vor links.“ Nehme den Proll zurück. Überdurchschnittlich intelligent, damit kann er nicht mehr beim Verfassungsschutz arbeiten.
Sage im Überholen: „Ja, vor allem politisch.“
„Hä?“
Hat mich akustisch nicht verstanden. Wegen der Stöpsel. Nimmt einen raus. Praktisch veranlagt. Also handwerklich begabt.
„Wat sasse?“
Aua.
„Weltfrieden. Ich Freund.“
Da geht ihm plötzlich ein Licht aus.
„Hä?“
Gehe weiter. Mein Kommunikationscenter meldet leichte Verschleißteile. Interaktive Hirnzellen mahnen mein Sozialverhalten an.
Bleibe vorm Raucher-Point vor Rewe stehen. Stöpsel kommt an.
„Hasse ma ne Kippe?“
Lade Agressionszustand auf. Gebe ihm eine Gedrehte.
„Cool, Alter. Hasse ma Feuer?“
Schließe geistige Vernetzung aus. Gebe Feuer.
„Hasse was gesacht eben?“
Kommunikationscenter meldet baldigen Totalausfall.
„Nicht des Lächelns wert.“
„Hä?“
Keine Veranlagung zum Sprachtherapeut erkennbar. Kommt mit zwölf Wörtern am Tag aus.
„Alles gut. Ich warte noch, bis du aufgeraucht hast. Dann helfe ich dir, die Kippe auszumachen.“
„Wa? Ich vasteh nich ein Wort, Alter.“
„Ich weiß. Bin nur schlecht drauf.“
„Kenn ich.“ Schnelle Auffassungsgabe. Könnte im Service-Bereich der DB am Bahnhof den Leuten die Rolltreppen zeigen.
Schmeißt die Kippe neben den Ascher. Ansätze zum Revoluzzer.
„Hau rein, Alter.“
Grinse. „Bin Pazifist.“ Schüttelt nickend den Kopf. Warte auf „Hä?“, kommt aber nicht.
Meine Lieblingsvermutung: Man muss für seine Emotionen das richtige Gefühl entwickeln
Reset the World!
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Zwischen 7.38 und 7.42 drehe ich mich noch einmal um, um mich dem Tag entgegenzuträumen, während du dich schon mit Scannerblick unter Menschen wagst. Respekt!
Ich wusste bisher auch gar nicht, wie lustig das ist, sich um diese Zeit auf den Weg zu machen um wichtige Rentnereinkäufe zu tätigen. Muss ich unbedingt ausprobieren.
Ich bin dir auf deinem Weg gefolgt und habe mich köstlich amüsiert.
Liebe Lottegrüße
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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Mann. Um 7.30 Uhr bin ich schon 2,5 Stunden auf den Beenen.
Ich lese z. Zt. mit Begeisterung Döblins "Berlin Alexanderplatz". Vor 100 Jahren haben die Leute auch nicht besser geredet.
Die sprachliche Verrohung befällt nicht nur junge Leute. Trifft eine ältere Frau eine andere:
"Wie geht`s?"
"Muss ja. Und selbst?"
"Auch muss."
Habe ich neulich SO auf der Straße gehört. Herrlich: Es geht ihr muss.
Eine Schlagzeile aus einem dieser fast schon schmerzlich überflüssigen Eltern-Magazine:
"Darf ich den Freund von meinem Sohn blöd finden?"
Ja, das darfst Du, Mutti. Und Mutti darf auch gern den Genitiv benutzen.
Es hat mal jemand behauptet: Wer nicht richtig reden kann, kann auch nicht richtig denken. Auweia!
Wahr ist aber: Wer das Wort SO-LI-DA-RI-TÄT nicht fehlerfrei aussprechen kann, hört auch irgendwann auf, das Wort zu denken und den Begriff, der hinter der Benennung steckt. Das ist dann auch gewollt von Manchen: Dass man sein Sprachzentrum wegkonsumiert und wegglotzt.
Ein sehr lustiger Text, Sirius.
Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Die Sprache ist das A und O beim Schreiben.
Darum lasse ich es auch meistens bleiben.
Ich habe mich über eure Kommentare sehr gefreut. Und mir geht es eigentlcih immer "muss".
Dass es euch besser geht wünscht und bedankt sich
Sirius
Reset the World!
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Ein würziger Text, Sirius, ich musste mehrmals lachen, da ich mich irgendwie mittendrin sah. Ja, die zwischenmenschliche Kommunikation ist auf ein Minimum geschrumpft. Ich werde oft gefragt, wie es mir geht. Sobald ich aber tatsächlich anfange zu antworten, höre ich dann schnell, du ich hab gerade keine Zeit. Lass uns mal whatsappen oder so...Aber keine Sorge, ich kenne es auch anders.;-)
Liebe Grüße, Leo
Schreiben macht schön.
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Klasse Formulierung, Leo: ein Text ist WÜRZIG. Muss ich mir merken...
Also, wenn MICH jemand fragt, wie es mir geht, kriegt er die ganze Story in filmreifer Breite und Länge. Will er/sie/es das nicht hören, sag ich: Frag nicht, wenn du die Antwort nicht vertragen kannst. :)
Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Ja, weegee, so ist es richtig! Selbst schuld, wenn man Phrasenfragen stellt und dann nicht auf die Antwort gefasst ist.
Hallo Leo,
finde ich toll, dass du auch Satiren liest und dich darin soagr noch wiederfindest.
Herzlichen Dank dir!!
Sirius
Reset the World!
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