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Performativ

#1 von Sirius , 04.07.2025 10:40

Performativ

Schon wieder ein TikTok-Trend: Menschen „performative reading“ vorwerfen.
Kürzlich haben wir Ihnen an dieser Stelle geraten, Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ auf eine Reise in die USA mitzunehmen, denn man weiß ja heutzutage nie, für wie lange und wo man dort eingesperrt wird. Und wenn Sie Glück haben, sitzen Sie in einer Einzelzelle, so dass niemand Sie beim „performative reading“ fotografieren und dies mit Häme posten kann. 

„Performative“ was? Der sich hinter diesem Wort verbergende Vorwurf ist, dass Menschen, die nicht im Kämmerlein, dem Penthouse oder im Lesezimmer ihrer Villa vor dem knisternden Kamin lesen (ja, wir wissen, dass das im Moment schwerfällt, also das mit dem Kamin), die vielmehr in aller Öffentlichkeit lesen, ihre Aufmerksamkeit für ein physisches, womöglich dickes Buch nur spielen. Warum sollten sie, wollen Sie wissen? Nun, um damit anzugeben, wie groß ihre Aufmerksamkeitsspanne ist, weit jenseits der … wie viel Sekunden nochmal? Um damit anzugeben, dass sie auch lange Sätze verstehen. Und Geschmack haben. Und nicht nur sexy, sondern auch klug sind. 

Schließlich, dass sie die Muße haben, Bücher zu lesen – was ja an und für sich schon eine Unverschämtheit ist in diesen Zeiten, in denen es sich gehört, etwa im Zug sogleich den Laptop aufzuschlagen und die KI zu fragen, wo in X, Y oder Z sie ein Selfie machen sollten, um in möglichst kurzer Zeit die meisten Likes zu ergattern. Dann bitten sie die KI, ihnen ein Uber zum Aussichtspunkt oder einen Tisch im Sternerestaurant zu reservieren, denn dafür haben sie nun wirklich keinen Nerv. Sie müssen sich doch noch schlau machen, über welche Bücher gerade gesprochen wird.

Aber keine Sorge, Menschen, die davon ausgehen, dass andere lesen, werden einem immer seltener begegnen. Vor zehn Jahren, kann man im „Guardian“ lesen, waren Tragetaschen ein Erfolg, auf denen ein Satz des Regisseurs und Autors John Waters stand: „If you go home with somebody, and they don‘t have books, don‘t fuck ‘em!” (Frei übersetzt: Gehen Sie nicht mit jemandem ins Bett, der keine Bücher zu Hause hat.) Was wird der nächste Beutelspruchhit sein? „Ich lese nicht performativ, ich lese wirklich“? Oder: „Ich lese nicht wirklich, ich tu nur so“? 

In Austin tut ein Buchclub seit zwölf Jahren nicht nur so, er ist alles andere als performativ. Seine Mitglieder lesen ein einziges Buch, sie sind nach eigener Auskunft noch lange nicht fertig. Zwar wird die Chance immer geringer, dass Sie mit diesem Titel noch jemanden beeindrucken können, aber wer weiß: Es handelt sich um James Joyces „Finnegans Wake“. Finne-what?

https://www.fr.de/kultur/timesmager/scho...n-93812148.html


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Sirius
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