21 Gramm
Wie viel wiegt eine Seele? Was wollen die Lausejungen dort? Und was kann man gegen sie unternehmen?
In ihrer ersten Vorlesung kam die Frankfurter Poetikdozentin Judith Schalansky beiläufig auf Duncan MacDougalls 21-Gramm-Experiment zu sprechen. Alle schauen gleich mal nach auf ihren leise gestellten Handys, generationsbedingt, aber auch weil Judith Schalansky eine ziemlich strenge Dozentin ist. Das Schönste via Google wie immer die „weiteren Fragen“: „Wie viel Gramm hat die Seele?“ – „Wie viel Gramm verliert man beim Tod?“ – „Was ist die 21-Gramm-Seelentheorie?“ – „Wie viel Gramm hat eine Seele beim Bäcker?“ 130 bis 190 übrigens. Die menschliche Seele wiegt deutlich leichter.
Der Amerikaner MacDougall ermittelte dies 1907 mit einem so abwegigen wie naheliegenden Experiment, indem er Sterbende wog und den genannten Gewichtsverlust ermittelte. Jedenfalls bei ungefähr einem der Probanden (Probandinnen?), wohingegen von den übrigen fünf zwei erst weniger, dann wieder mehr wogen, einer erst weniger, dann noch weniger (die Zweitseele?), bei einem die Waage falsch eingerichtet war, und der letzte starb, bevor er auf der Waage lag. Vergleichstests mit Hunden ergeben immerhin: keine Gewichtsveränderung, da Tiere keine Seele haben.
Dass die Hunde (15) keines natürlichen Todes starben, brachte MacDougall Kritik ein. Die 21-Gramm-Theorie hat sich dennoch erhalten, sie hat den Charme des Akribischen und Vorstellbaren (was wäre gewesen, wenn er auf 1,2 Kilo gekommen wäre?). Nun gibt es friedhofsnahe Gaststätten, die so heißen, den ebenfalls gleichnamigen Film mit Sean Penn sowie Popsongs.
Nur die drei Lausebengel da vorne interessiert nicht einmal das. Sie sind zu sehr damit befasst, leise zu feixen und die nächste Bierflasche zu öffnen, Weiß- und Mischbiere. Sie sind nicht einmal anständige Penner, sie sind erzogen, ihre schon jetzt etwas bärbeißigen Nacken frisch rasiert, ihre T-Shirts reinlich. Über ihr Studienfach wollen wir nicht spekulieren. Nichts wäre grandioser gewesen, als wenn einer von ihnen jetzt einen Band Maeterlinck aus dem Rucksack gezogen hätte. Wie zumeist war das Leben aber nicht überraschend, allein die Kunst war es.
Die drei sind wohl reingekommen, um sich abzukühlen. Begreiflich, aber sie wissen nicht, dass sie nun verflucht sind, verflucht durch die bösen Blicke der gleichaltrigen Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler. Können junge Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler das? Was glauben Sie! Die Seele wiegt todsicher nicht 21 Gramm, aber es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen sich eure Schulweisheit nichts träumen lässt.
https://www.fr.de/kultur/timesmager/time...m-93814239.html
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