Melancholie

Ich sitz in der Kneipe vorm vollen Glas Bier
und denke: Wieso bin ich eigentlich hier.
Es setzt sich ein Frauchen zu mir an den Tisch,
das wirkt nun mitnichten sehr glücklich und frisch.

Spendier ihr nen Wodka, den kippt sie sich runter,
taut zunehmends auf und wird plötzlich ganz munter;
erzählt mir, ihr Mann hätt sie schnöde verlassen,
der wäre nun schwul, würd die Frauen jetzt hassen.

Und was ist mit dir, will der Schatz von mir wissen.
"Die mir Angetraute, die hat mich beschissen.
Ist gestern erst mit einem Kerl abgehauen, -
O Scheiße! – Verstehe mir einer die Frauen."

Am Ende, da landeten wir in der Kiste;
Sie kriegte, was sie schon so lange vermisste.
Bei mir wars nicht anders: Sie stillt mein Verlangen,
danach sind wir schnell auseinander gegangen.

Ihren Namen hat sie nicht gesagt,
auch nach meinem hat sie nicht gefragt.

Hallo Babs,

trotz aller Melancholie, oder gerade deshalb, dringt da ein feiner Humor durch.

Gern Gelesen zu später Stund

Letreo

Zuerst beglückwünsche ich Dich, dass Du zu uns gefunden hast. Fühle Dich wohl und schreib Dir die Finger wund. Gute Pösie und Lürik ist hier wohl gelitten.
Für Deinen freundlichen Komm bedanke ich mich.
Lieben Gruß
Babs

Hallo Babs,

ein realistischer Text mit seltener Melancholieanwandlung, aber auch komisch.

Mir gefällt diese unprätentiöse Alltagslyrik. Es entstehen triste Vorstadtkneipenbilder vor meinen Augen, mit vollen Aschenbechern auf einer zerkratzten Theke, metallene Barhocker mit rissigen roten Kunstlederbezügen, aus denen denen die Schaumstoffpolsterung herausquillt. Es riecht muffig. Ich seh einen blassen nichtssagenden schlecht rasierten Typen und eine nicht mehr junge Frau mit verhärmten Zügen. Dann eine kleine, schmutzige Wohnung fast ohne Möbel, mit nicht ausgeräumten Umzugskartons und zwei Menschen, die froh sind, dass der andere nicht nach dem Namen fragt.

Melancholie ist es für mein Gefühl nicht. Melancholie hat für mich einen romantischen Anstrich, den ich hier nicht erkennen kann. Ich hätte es wohl "Tristesse" genannt.

Danke für das Kopfkino, auch wenn ich mir ein angenehmeres wünschen würde .

Gefällt mir immer wieder, wenn du (beinahe) dein witzelndes Metier verlässt.

Lieben Gruß
charis