Alles Schaffen ist Zerstörung
Zwischen Ordnung und Unordnung: Judith Schalansky erzählt von zwölf Momenten des Verlusts.
Es gebe zwei Formen, mit Verlusten umzugehen, schreibt Sigmund Freud 1917 in einem kleinen Text, dessen Titel diese beiden Modi bezeichnet: „Trauer und Melancholie“. Während Trauerarbeit zur Wiedererlangung der „seelischen Gesundheit“ führe und das Ich für neue Bindungen befreie, sei die mit ihr verwandte Melancholie eine „pathologische“ Spielart der „normalen“ Trauer, in der der Melancholiker dem Verlorenen verhaftet bleibe.
Diese Melancholie mag psychologisch ein Desaster sein, literarisch ist sie eine Produktivkraft. Sie hält präsent, was sie nicht verarbeiten kann. Der Schmerzpunkt, von dem die zwölf Texte in Judith Schalanskys „Verzeichnis einiger Verluste“ ausgehen, scheint die Erfahrung einer unreinen Abwesenheit zu sein: Nichts ist vorüber, das Abwesende ist in verschiedensten Zeichen doch immer anwesend – so wie das Anwesende immer schon Zeichen seiner künftigen Abwesenheit mit sich führt.
Das betrifft das Südsee-Atoll Tuanaki, das während eines Seebebens versank, aber auf Karten bis 1875 noch verzeichnet ist. Das betrifft die Liebeslieder der Sappho, die erst aus Zeugnissen Dritter rekonstruiert wurden und somit zugleich vorhanden und doch nicht vorhanden sind. Das betrifft auch den Palast der Republik, der, bei Schalansky noch vorhanden, die Kulisse für das Ende einer Liebe abgibt und so schon auf sein eigenes Verschwinden vorausdeutet.
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https://www.tagesspiegel.de/kultur/verze...g/23617926.html
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