Die Affen
Der Bauer sprach zu seinem Jungen:
Heut in der Stadt da wirst du gaffen.
Wir fahren hin und seh'n die Affen.
Es ist gelungen
Und um sich schief zu lachen,
Was die für Streiche machen
Und für Gesichter
Wie rechte Bösewichter.
Sie krauen sich,
Sie zausen sich,
Sie hauen sich,
Sie lausen sich,
Beschnuppern dies, beknuppern das,
Und keiner gönnt dem andern was,
Und essen tun sie mit der Hand,
Und alles tun sie mit Verstand,
Und jeder stiehlt als wie ein Rabe.
Paß auf, das siehst du heute.
O Vater, rief der Knabe,
Sind Affen denn auch Leute?
Der Vater sprach: Nun ja,
Nicht ganz, doch so beinah.
(Wilhelm Busch, 1832-1908)
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Das Huhn und der Karpfen
Auf einer Meierei
Da war einmal ein braves Huhn,
Das legte, wie die Hühner tun,
An jedem Tag ein Ei
Und kakelte,
Mirakelte,
Spektakelte,
Als ob's ein Wunder sei.
Es war ein Teich dabei,
Darin ein braver Karpfen saß
und stillvergnügt sein Futter fraß,
Der hörte das Geschrei:
Wie's kakelte,
Mirakelte,
Spektakelte,
Als ob's ein Wunder sei.
Da sprach der Karpfen: "Ei!
Alljährlich leg' ich ´ne Million
Und rühm' mich dess' mit keinem Ton;
Wenn ich um jedes Ei
So kakelte,
Mirakelte,
Spektakelte -
Was gäb's für ein Geschrei.
(Heinrich Seidel, 1842-1906)
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Trotzreaktion
Dass man mich ärgert und verlacht,
wenn Wasser ich aus Wein gemacht,
dass mancher kichert, wenn im See
ich bis zum Hals im Wasser steh,
und gröhlt, wenn sich nach meinem Segen
die Lahmen auf die Fresse legen,
bestärkt mich lediglich darin,
dass ich der neue Heiland bin.
Michael Schönen
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Im Garten
Der Petersil, der Petersil
weiß alles, doch er spricht nicht viel.
Die Zwiebel
ist nicht übel
Der Knoblauch
bringt es auch.
Die Möhre
glaubt, sie störe -
Herrn Mangold,
diesen Trunkenbold!
Die Bohne
ist nicht ohne.
Es kichern und scherzen
die jungen Erbzen
Die kleine rote Paprika
macht auf heiß wie Afrika
Der Salbei,
klar, ist auch dabei.
Die Kartoffel
ist kein Stoffel.
Der Rosmarin
nimmt alles hin
„Dumm schmeckt gut“, prahlt der Basilikum.
Er kriegt damit Tomaten rum.
Wiglaf Droste
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Der Werwolf
Ein Werwolf eines Nachts entwich
von Weib und Kind und sich begab
an eines Dorfschullehrers Grab
und bat ihn: Bitte, beuge mich!
Der Dorfschulmeister stieg hinauf
auf seines Blechschilds Messingknauf
und sprach zum Wolf, der seine Pfoten
geduldig kreuzte vor dem Toten:
"Der Werwolf" - sprach der gute Mann,
"des Weswolfs, Genitiv sodann,
dem Wemwolf, Dativ, wie man's nennt,
den Wenwolf, - damit hat's ein End."
Dem Werwolf schmeichelten die Fälle,
er rollte seine Augenbälle.
Indessen, bat er, füge doch
zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!
Der Dorfschulmeister aber musste
gestehn, daß er von ihr nichts wusste.
Zwar Wölfe gäb's in großer Schar,
doch "Wer" gäb's nur im Singular.
Der Wolf erhob sich tränenblind -
er hatte ja doch Weib und Kind!!
Doch da er kein Gelehrter eben,
so schied er dankend und ergeben.
(Christian Morgenstern, 1871-1814)
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BRA KO BA GA
Seltsam: Wenn wir braten, kochen,
Backen und gar manches garen -
Immer duftets in der Küche,
Wenn wir in die Schürze fahren.
Wohlgeruch durchschwebt das Zimmer.
Nur beim Nachbarn stinkt es immer.
Marco Tschipke
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Silvester bei den Kannibalen
Am Silvesterabend setzen
Sich die nackten Menschenfresser
Um ein Feuer, und sie wetzen
Zähneklappernd lange Messer.
Trinken dabei - das schmeckt sehr gut -
Bambus-Soda mit Menschenblut.
Dann werden aus einem tiefen Schacht
Die eingefangenen Kinder gebracht
Und kaltgemacht.
Das Rückgrat geknickt,
Die Knochen zerknackt,
Die Schenkel gespickt,
Die Lebern zerhackt,
Die Bäuchlein gewalzt,
Die Bäckchen paniert,
Die Zehen gefalzt
Und die Äuglein garniert.
Man trinkt eine Runde und noch eine Runde.
Und allen läuft das Wasser im Munde
Zusammen, ausnander und wieder zusammen.
Bis über den feierlichen Flammen
Die kleinen Kinder mit Zutaten
Kochen, rösten, schmoren und braten.
Nur dem Häuptling wird eine steinalte Frau
Zubereitet als Karpfen blau.
Riecht beinah wie Borchardt-Küche, Berlin,
Nur mehr nach Kokosfett und Palmin.
Dann Höhepunkt: Zeiger der Monduhr weist
Auf Zwölf. Es entschwindet das alte Jahr.
Die Kinder und der Karpfen sind gar.
Es wird gespeist.
Und wenn die Kannibalen dann satt sind,
Besoffen und überfressen, ganz matt sind,
Dann denken sie der geschlachteten Kleinen
Mit Wehmut und fangen dann an zu weinen.
(Joachim Ringelnatz, 1883-1934)
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Arztbesuch
Ein Mensch macht öfters Arztbesuche,
auf dass man ihn dort untersuche.
Der Doktor, von Natur aus gründlich
tut dies und wird beim Menschen fündig.
Er möge vor dem Schlafengehen
dem Gang zum Kühlschrank widerstehen.
Und ab sofort vorm Mittagessen
den Schluck Warmwasser nicht vergessen.
Er rät dem Menschen für Daheim
statt des Kaffee´s zum Haferschleim,
damit der Blutdruck nicht so steige,
da er zu schwachem Herzen neige.
Den Kuchen dann an Nachmittagen,
soll sich der Mensch auch noch versagen.
Den weißen und den roten Wein.
rät ihm der Arzt, lass besser sein.
Dies zu befolgen wäre Mord!
Daher beschloss der Mensch sofort,
wie er´s schon oft gemacht im Leben:
es nicht mehr so genau zu nehmen.
Für Arztbesuche, grad´ wie heut´
hat der Mensch vorerst keine Zeit.
© Horst Fleitmann
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Steffen Teichmann · geb. 1960
Mathilde 1 / Sonett 82
Es lockt der März mit warmer Milde,
die Wolken ziehn verheißungsvoll,
sind Wattebäusche sehnsuchtsvoll,
ich warte auf Mathilde.
Ich träume in die Weißgebilde,
die langsam schwimmen im Türkis,
die Sonne wärmt den hellen Kies,
dort geht und kommt Mathilde.
Ich küss die Wangen von Mathilde
mit einem weichen Lippenbiss,
ich liebe dich Mathilde.
Da küsst die Lippen mir Mathilde
mit einem heißen Lippenbiss,
es liebt auch mich Mathilde.
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Kurt Tucholsky (1890-1935)
Nichts anzuziehen –!
Ich steh schon eine halbe Stunde lang
vor diesem gefüllten Kleiderschrank.
Was ziehe ich heute nachmittag an –?
Jedes Kleid erinnert mich ...
also jedes erinnert mich an einen Mann.
In diesem Sportkostüm ritt ich den Pony.
In diesem braunen küsste mich Jonny.
Das da hab ich an dem Abend getragen,
da kriegte Erich den Doktor am Kragen,
wegen frech ...
Hier goss mir seinerzeit
der Assessor die Soße übers Kleid
und bewies mir hinterher klar und kalt,
nach BGB sei das höhre Gewalt.
Tolpatsch.
In dem ... also das will ich vergessen ...
da hab ich mit Joe im Auto gesessen –
und so. Und in dem hat mir Fritz einen Antrag gemacht,
und ich habe ihn – leider – ausgelacht.
Dieses hier will ich überhaupt nicht mehr sehn:
in dem musst ich zu dieser dummen Premiere gehn.
Und das hier . . .? Hängt das noch immer im Schranke ...?
Sekt macht keine Flecke –? Na, ich danke –!
Und den Mantel – ich will das nicht mehr wissen –
haben sie mir beim Sechstagerennen zerrissen!
Ich steh schon eine halbe Stunde lang
vor diesem gefüllten Kleiderschrank:
das nackteste Mädchen in ganz Berlin.
Wie man sieht:
Ich habe nichts anzuziehn –!
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Siegfried Skielka (geb. 1937)
Das Mückenweibchen
Ein Abend war's am Meeresstrand,
still saß ich noch im warmen Sand.
Da kam zu mir, oh welch' Entzücken,
ein ganzer Schwarm von kleinen Mücken.
Ich sah auch gleich an ihren Kleidchen,
es waren lauter Mückenweibchen.
Wie man ja weiß, dass bei den Mücken
nur diese bösen Weibchen pieken.
Kaum, dass ich mich erhoben hatte,
von der bunten Badematte,
da hatte sich ein Mückenweib
gebohrt in meinen braunen Leib.
Sie tat es ohne einen Laut.
Sie saß ganz friedlich auf der Haut.
Ihr schmeckte wohl mein Lebenssaft.
Mich juckte es, ihr gab er Kraft.
Was sagt uns diese Kurzgeschicht'?
Vertraue bloß den Weibern nicht!
Was die Natur uns zeigen kann,
die bess're Mücke ist der Mann!
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Leben als Beruf
Ich lebe vom Schreiben
und schreibe vom Leben
Ich rede vom Leben
und schreibe vom Reden
Ich rede beim Schreiben
und schweige beim Reden
Ich lebe vom Bleiben
und bleibe am Leben.
Johann König
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Sehenswürdigkeite
Wann mer im Urlaub
so in die Gegend fahrn,
lese mer im Reiseführer.
Bei am Sternche gucke mer enaus,
bei zwä Sterncher drehe mer die Scheib erunner,
bei drei Sterncher steige mer aus.
Dass mer sehe, wo mer warn.
Inge Reitz-Sbresny
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Der Spatz
Heinz Erhardt
Es flog ein Spatz spazieren
hinaus aus großer Stadt.
Er hatte all die Menschen
und ihr Getue satt.
Er spitzte keck den Schnabel
und pfiff sich was ins Ohr.
Er kam sich hier weit draußen
wie eine Lerche vor.
Er traf hier auch manch Rindvieh,
sah auch manch Haufen Mist . . .
Er sah, dass es woanders
auch nicht viel anders ist.
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Du & Ich, wir 3
In des Meeres Weiten
auf einem Pony reiten,
oder auf der Autobahn
nur im toten Winkel fahren.
Das Sofa mal verschieben,
dann dort fremde Frauen lieben,
zwar im Kopf und auf die Schnelle,
aber doch an andrer Stelle.
Sich selber Karten schreiben
mit falscher Postleitzahl,
oder unabgesprochen
sich selbst was Schönes kochen.
Mal für einen Monat
den Blick zum Spiegel scheuen,
und dann sich wie ein Kind
auf Wiedersehen freuen.
Das Leben ist so gemein,
denn ständig sind wir allein.
Doch meine Welt ist schön,
denn ich bin schizophren.
Johann König
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