Eine sehr persönliche Laudatio
Namensherkunft Zareh ? persisch Zarah, Gedächtnis des Herrn oder so.
Bedeyan ? das -yan am Ende weist den Namensträger als Armenier aus. Mehr weiß selbst das Internet nicht, außer dass ich noch einige Anzeigen von früher entdeckte, und die überraschende Feststellung machte, dass mein kleiner Halbbruder bei einem 'Armenian Poetry Projekt' involviert ist.
Er war nicht schön, nein. Das hatte er auch nicht nötig, und meine Mutter stand kaum noch auf schöne Männer, so wie mein Vater einer gewesen sein soll. Als Kind denkt man allerdings erst mal nicht in solchen Begriffen. Zareh war kleiner als sie und etwas rundlich, aber sehr agil, mit fleischigen Wangen und einer Nase, die genug Masse für zwei besaß, oder vielleicht auch nur für anderthalb. Die Haare in der Nase wurden vom Barbier mit einem Feuerzeug weggebrannt, ein mich immer wieder faszinierendes Ritual.
Mein echter Vater war schon in Ordnung gewesen, a bisserl schwanzgesteuert vermute ich mal, aber welch attraktiver Mann lässt schon etwas anbrennen? Er starb mit 42, vielleicht war er leicht vom Krieg mitgenommen. Darüber wurde kaum geredet in unseren Kreisen.
Nach der Scheidung heiratete meine Mutter in einer angemessenen Zeremonie und im trauten Kreise von höchstens 180 Großkopferten diesen armenischen Ingenieur (gerüchteweise eine Jugendliebe), aus Istanbul, der mehrere Produktionsstätten und eine beeindruckenden Flotte an Straßenkreuzern besaß, ein Mensch an dem auch die Forbesliste nicht vorbei kam, so heißt es jedenfalls und ich werde mich hüten, eine großartige Historie durch Recherche zu schmälern. Einer der Chevrolets besaß sogar einen Plattenspieler, den man damals genau so mit 45'er Schallplatten fütterte, wie heute ein Laufwerk mit CD's.
Jedenfalls waren wir reich genug, so dass ich mich fragte, wieso dieser Mann denn noch arbeiten gehen würde. Ich war einfach nicht fähig, den Zusammenhang zwischen Wohlstand und Arbeit herzustellen – eine Gedankenlosigkeit, welche sich bis heute immer noch nicht gänzlich an den harten Kanten der Realität den Kopf eingeschlagen hat. Inzwischen lautet mein Mantra aber modifiziert mehr wie: 'Viel Besitz hat die fatale Eigenschaft einen zu besitzen, - und steht in keinem Zusammenhang mit der Lebensqualle' (Wenn die Grundbedürfnisse abgedeckt sind. Alles Mehr ist Luxus, natürlich auch von mir gerne goutiert). Aber dafür konnte Zareh nichts. Ich lebte in einem liebevollem Kokon aus menschlicher Wärme und erlebte nie irgend einen Mangel. Ich hatte nur eine mittelgroße Macke aus der Zeit der Scheidung meiner Eltern davon getragen, als meine Mutter wohl ziemlich verzweifelt gewesen sein muss.
Zareh mischte sich offiziell nicht in die Erziehung ein. Vielleicht dachte er, das wäre respektlos meinem wahren Vater gegenüber, aber ich unterstelle mal, dass er sich für mich und meinen älteren Bruder nicht im gleichen Maße verantwortlich fühlte, wie später für seine eigenen Kinder. Er meinte vermutlich nur: Dieser Träumer muss mal etwas Wirklichkeit schnuppern und deswegen fuhr ich in den wirklich langen Sommerferien oft mit ihm und dem 5.30 Express-Vapur, Express-Schiff, nach Istanbul rein, um durch sämtliche Stationen der Geldmacherei geschleust zu werde, wo ich aber als 'Patronun O?lu', Sohn vom Boss, schon wieder mit Samthandschuhen angefasst wurde. Gießerei, Metallbearbeitung (Getriebe, Pumpen), Zeichenbüro, Verwaltung, Labor (Chemie. Modifizierte Stärke für Knorr oder Maggi, was weiß ich) und so weiter. Für mich war das ein Abenteuer. Lauter nette Leute, die nur das Problem hatten, mich mit irgend etwas zu beschäftigen, bei dem ich keinen Mist bauen konnte. So ein Profimikroskop ist echt für Monate eine höchst interessante Angelegenheit. Einen LKW mit Säcken voll Stärke mithelfen zu beladen und Abends schon die gewachsenen Muskeln seiner 'Mutti' zeigen. Eine Gebrauchsanleitung übersetzen. An der vom Meister eingestellten Drehbank in Serie irgendwelchen Töpfen den Boden glätten, und stolz die dreckigen Pfoten präsentieren – ich gebe es zu, ich war mit einer Selbstverständlichkeit glücklich, wie sie normaler Weise einem kapitalistischem Mamasöhnchen nicht ansteht. Ich hatte einfach keinen Grund zu Klagen, so wie es sonst üblich ist bei dieser besonderen Sorte Mensch.
All das ermöglichte dieser herzensgute Patriarch der alten Schule, mit landestypischer Teilbuchführung aus der Brieftasche. Diese zog er manchmal bei Verhandlungen wie ein Cowboy sein ultimatives Argument aus der Hüfte, allerdings selber aus der Gesäßtasche, und warf sie auf den Tisch: “Wenn du mich ausrauben willst, dann nimm doch gleich mein Geld.“ Ich musste jedes mal staunen, mit wie viel Temperament dieses levantinische Unikat seine Interessen vertrat. Er war als Boss kein Tyrann, aber er konnte ziemlich laut werden, wenn jemand Mist baute.
Dankbare Angestellte, die ihre Loyalität mit 'El Öpü?mek', dem traditionellen Küssen der Hand vom Gönner, zeigen wollten, waren ihm jedes Mal sehr peinlich. Allerdings traf ich selber mal Anstalten, ihm vor der ganzen Mannschaft die Hand zu küssen, weil er für mich, als ich schon fast 30 Jahre alt war, in Deutschland etwas in Gang brachte, was mir viel Ärger ersparte. Er riss die Hand weg und dann lächelte er leise über den Respekt und die Dankbarkeit, welche ich ihm damit öffentlich er- und bewies. Auch rauchte ich nie in seiner Gegenwart. Und getrunken habe ich genau so wenig, wenn er in der Nähe war.
Er war mir kein Vorbild. Nie wollte ich so, mit Verantwortung in die Pflicht genommen werden. Ständige Diesseitigkeit in permanentem Leistungsnachweis; allerdings konnte ich das damals natürlich nicht so eloquent formulieren. Ich liebte ihn bedingungslos. Aber nicht als Vater, selbst wenn ich ihn Vati nannte. Sondern mehr wie den Weihnachtsmann. Als eine Instanz, welche die Welt um sich krümmt.
Er beschäftigte Griechen, Juden, Armenier, Türken, Russen, wobei jede Gruppe einen bestimmten Bereich abdeckte. Die Griechen stellten meistens die Meister und Vorarbeiter, Armenier, oft Frauen, arbeiteten vornehmlich in der Verwaltung, Juden schienen tatsächlich nur für Finanzen zuständig zu sein, Russinnen hatten die Labors im Griff und die Türken waren entweder einfache Arbeiter, oder Konstruktionszeichner.
Abends saßen wir an der Tafel mit ihm am Tischkopf, den Platz durfte nur meine Mutter während seiner Abwesenheit vertretungsweise innehaben. Es war selbstverständlich, dass der Mensch, der den Arsch für unser Wohlergehen riskierte, eine Sonderstellung einnahm. Immerhin umfasste der Haushalt insgesamt ca. 20 Personen, die davon lebten, dass Zareh sich nicht verrechnete.
Er tat viel für die armenische Gemeinde. Finanzierte den Aufbau verfallener Kirchen in Klein Asien. Spendete, fuhr nach Jerusalem. Soll ihm aber in den letzten Jahren kein Trost gewesen sein. Als Tatmensch konnte er sich mit gewissem Begleiterscheinungen des Alterns nicht abfinden, ich meine, wer kann das schon? Selbst ich Faullenz komme damit nicht wirklich klar. Außerdem hatte ihm der Tod meiner Mutter emotional den Boden weggeschlagen und das Ganze lief auf einen, ihm nicht genehmen Generationswechsel in der Führung hinaus.
Er war mir der liebste Mensch, auch noch, nachdem ich mir mit 13 eine Ohrfeige einfing, weil ich fragte, ob in seiner Familie schon mal jemand ermordet worden wäre. Ich verstand die Reaktion zwar nicht, aber schluckte es einfach runter: Wenn dem die Hand ausrutscht, muss es einen echten Grund geben.
Nun, einen Grund sah ich täglich. Eine seiner Schwestern war an 1915 innerlich zerbrochen und schlich verhärmt durch die Küche, denn kochen konnte sie so, wie sie als Mädchen in Ölfarbe malte, genial!, – ich entdeckte eine ganze Bildersammlung in einem ungenutzten Keller.
Zareh, der Mann, dem ich eine glückliche, privilegierte Kindheit verdanke, ist mir in seiner Menschlichkeit, seiner herzlichen Güte, eine Erinnerung, die ich erst sehr spät zu schätzen lernte.
Es war so alltäglich, so normal, so allgegenwärtig, und mir in meinen wildesten Jahren sogar lästig. Wie kann ich diesen Mann angemessen ehren? Bestimmt nicht durch diese Laudatio, aber vielleicht indem ich seine warme Menschlichkeit erlerne und etwas weniger zynisch bin?
Ich kann es mir ja vornehmen, doch ob das reicht?
Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!
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Zitat von klsa
Wie kann ich diesen Mann angemessen ehren? Bestimmt nicht durch diese Laudatio...
In jeder Zeile sieht der Leser dich zu ihm aufschauen. Deine Worte lassen mehr als eine Ahnung aufkommen, von dem was er dir bedeutet. Wenn das keine angemessene Ehrung ist, dann weiß ich es auch nicht, Karl-Ludwig.
Liebe Lottegrüße
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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