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Knapp in der Türkei (1960'er Jahre)

#1 von Karl Ludwig , 30.03.2020 13:14

Noch machen wir Witze. Heute erkläre ich mal wie nebenbei, doch äußerst leutselig, einige Buchstaben, die es in dem deutschen Alphabet nicht gibt. Außerdem spare ich nicht mit Hinweisen zur aktuellen Lage (lebensbedrohliche Schokoladenknappheit).

Durch diese Hamsterkäufe kommt es in Deutschland zu Engpässen bei Toilettenpapier, Nudeln und Beatmungsgeräten. Das macht einige Menschen so richtig kirre und sie rasten deswegen total aus. Mich persönlich lässt das allerdings alles kalt. Ich kenne nämlich praktizierte Mangelwirtschaft, und, glaubt mir, das Glücksgefühl, wenn man denn dazu neigt, ist mit oder ohne Warenlager unterm Strich genau so groß. Einmal im Monat, so vom Zwoten bis Ultimo, fehlt mir ja auch alles Mögliche und ich muss improvisieren. Aber das kann ich, das habe ich gelernt. Habt Ihr schon mal Reis in knapp Zuckerwasser gekocht und mit viel Butter, Schokolade und Zimt abgeschmeckt?

Sirius würde jetzt behaupten: „Dafür muss man bekifft sein.“ Ha, aber für Makrelen in Zuckerschaumdip nicht, wa?

Schließlich lebte ich in den 1960'er Jahren in Istanbul, dem kranken Mann am Bosporus, und der liegt halb im Morgenland. Deswegen sagen die Menschen dort auch immer: „Yarɪn da var.“ (Es gibt auch Morgen). Und falls nicht, würde das niemanden nicht lange stören, denke ich positiv zu Ende.

Das 'i' ohne Punkt wird wie ein stumpfes, fast rülpsiges 'ö' gesprochen. Hoaşt? Und das 'ş' wird wie 'sch' gesprochen und auch so gedacht]

„ Hoaşt Butter?“ (Yağ var mɪ?) Das 'ğ' wird gar nicht geprochen, sondern als Hauch gepustet. Wie in 'Jaaahhh'.

„Belki yarin.“ (Vielleicht morgen)

„Kaffee? Zucker? Gemüse? Den nächsten Bus? Die Wiederkehr der neunbrüstigen Hure von Babylon? Die Apokalypse?“

„Belki yarin.“

Meine Familie gehörte zu den unteren der oberen Zehntausend. War also ziemlich vermögend. Mal gab es kein Wasser, mal keinen Strom. Dann fiel tagelang die Heizung aus. Und der Fahrstuhl.

Wir nahmen es geduldig hin. Die Kriegsgeneration war wohl heilfroh für ihr mehr oder weniger zufälliges Überleben. Und diese gelassene Lebensfreude war wie ein Enzym der Geborgenheit für uns Kinder.

Denen war doch alles bloß halb so schlimm: Essen wir halt aus der auftauenden Tiefkühltruhe, süßen mit Honig, trinken Tee und warten auf den nächsten Bus.

Bis auf: „Raki var mɪ?“

„Belki yarin.“

Da wurde es ernst! Keine Coca Cola und kein Aspirin? O.K. Kein Benzin? Na und? Aber kein Raki? Das war existenzbedrohend und also mogelte ich mich als Passagier auf im Hafen angelegte Kreuzfahrtschiffe und erwarb dort dieses Lebenselexir mit Devisen im Duty Free Shop. Da war mein Stiefvater ganz dolle begeistert und rückte gerne seine ausländische Valuta raus, die jeder Kaufmann verbotener Weise im Safe sammelte. Und alle Geschäftsfreunde besuchten uns abends, tranken von diesem unerschöpflichen Vorrat und rauchten dabei Pall Mall, bis die Augen tränten (dieZigaretten gab es manchmal auch nur noch für devisionäre Touristen). Und ich weiß nicht, welchen Krisengewinn der 'Patron' aus der ganzen Angelegenheit zog. Bestimmt jede Menge. Armenier halt. In der Türkei sagten die Leute: Ein Jude kann sieben Türken mit seinem Geschäftssinn ruinieren – ein Armenier jedoch sieben Juden (Ich weiß, das sind keine politisch korrekten Aussagen, denn die waren damals noch nicht erfunden). Ich befürchte sogar, dass der kleine, äußerst liebenswerte 'Don Zareh' dieses mit einem gewissen Stolz vernahm.

Das nächste Mal erzähle ich Euch was über den Ablativ. Den gibt es in Deutsch auch nicht.

Na und? Fehlt der uns etwa?


Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!

Karl Ludwig  
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RE: Knapp in der Türkei (1960'er Jahre)

#2 von Sirius , 30.03.2020 18:09

Jetzt am Abend ist mir noch gar nicht nach Morgenland.
Aber dein Türkisch-Kurs mit den zwei Vokabeln war doch sehr unterhaltsam, wie es ja alle deine Geschichten sind, wie man neidlos anerkennen muss.
Ich freue mich schon auf den Ablativ. Der ist hier genauso Mangelware wie Klopapier.
Aber wenn es um Bildung geht, sind Hamsterkäufe in diesem Land nicht zu befürchten.
Ich hoffe, du bleibst vom Virus verschont, Karl-Ludwig, das würde sonst wohl unsere letzte Quarantäne.

Sirius


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Sirius
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RE: Knapp in der Türkei (1960'er Jahre)

#3 von Ralfenbaby ( gelöscht ) , 26.05.2020 02:03

lieber dr ludwig -

ich liebe die türken ebenso wie sie.

Viele liebe Grüße!
das baby

Ralfenbaby
zuletzt bearbeitet 26.05.2020 02:04 | Top

   

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