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RE: Zum Tode meiner Mutter 1985

#1 von Karl Ludwig , 06.09.2016 14:25

Nein, ich habe sie nicht umgebracht. Kein männlicher Elektrakomplex überfiel mich. Allerdings hätte ich sie fast getötet – aus Liebe. Und da ich in dieser Geschichte nichts als die nackte Wahrheit schildern will, verzeihet mir bitte meinen teilweise recht flapsigen Duktus, denn ich bin davon überzeugt, dass ein wenig rum flachsen immer noch besser ist als zu jammern. Denkt nur an den Vogel, der schnell noch ein wenig trillern will, bevor ihn die Katze frisst (Der Vogel scheint mir hat Humor. Busch) oder Freddy Mercury, der nach der Diagnose noch mal alle Energie in seine Musik steckte.

Es fing mit einem Anruf von meiner ExGötterGattin an. Ich kannte das schon: „Nimm den Kleinen für eine Woche, oder ich schmeiße ihn aus dem Fenster.“

Aber nein, diesmal ging es um meine Mutter. Die hätte einen Brief geschrieben, des Inhaltes, ich solle mich setzen und sie hätte Lungenkrebs und maximal noch drei Monate und ich soll in den nächsten Flieger steigen. Ich ließ mir den Brief vorlesen und machte mich auf den Weg.

Istanbul, ach mein geliebtes Istanbul. Nur, warum schmerzen die Ohren bei der Landung stärker als bei dem Start? Die permanent verstopfte Nase schnaubte sich frei, total- olfaktorische Begeisterung für die Luft meiner Jugend kam auf.

Mit meinem armenischem Stiefvater traf ich die unausgesprochene Abmachung, mich zu benehmen, in Deutschland ein erfolgreicher WasAuchImmer zu sein (Ich wählte PC-Branchenlösungen, - denn konfigurierbare, bzw. mit Visual Basic programmierbare relationale Datenbanken wie z.B. Access gab es damals noch nicht. Wir Nerds brachen uns auf 'C-Plus' Einen ab) und morgen müsse ich als Erstes zum Schneider, Maß nehmen lassen, so könne ich doch nicht rumlaufen, und hier wäre ausreichend Taschengeld.

Dazu muss ich anmerken: Mein Stiefvater war Armenier gewesen, eine Art herzensgutes, mediterranes Energiebündel, mit einer Beweglichkeit, wie sie des Öfteren bei angedickten Menschen verblüfft. Er stand in der Forbesliste: Metall, Chemie, Handel. Inzwischen ist er selber tot, es war, als ob man seinen Stecker gezogen hätte. Meine Mutter war seine Studentenliebe gewesen, nach ihrer Scheidung fanden die zwei sich wieder, alles sehr romantisch und ich will meiner Mutter auch nachträglich keinen Grace-Kelly-Komplex diagnostizieren. Es waren andere Zeiten und eine geschiedene Frau wurde in Deutschland immer noch leicht schief angesehen. Wir waren alle ziemlich glücklich, aber selbstverständlich war uns das selbstverständlich! An Glück kann man sich nämlich auch wie an eine Banalität gewöhnen. Mein Stiefvater Zareh jedenfalls war das Beste, was uns passieren konnte. Ich habe diesen Mann geliebt. Ein Patriarch der alten Schule, der meinen kleinen Halbbruder zusammen faltete, weil dieser die Arbeiter nicht ausreichend achtete.

Und nun ging diese Welt dem Ende zu. Ich ließ mich im Cadillac X-Zylinder durch diese stinkende, überbevölkerte, heiße, laute, geliebte Stadt fahren und klapperte die Apotheken ab, ob sie nicht noch Medizin von früher hätten, bevor die Rezeptpflicht für Opiate modern wurde. Tinktura Opii z.B. gegen Durchfall und Mogadon, ein: 'Mir doch egal Hypnotikum'. Ich zahlte in harter Währung und war bald als 'al???k', (jemand, der sich an etwas gewöhnt hat) sehr beliebt.

Ansonsten kümmerte ich mich als Krankenpfleger um meine Mutter. Als 'Krankenpflegehelfer', wäre die formal korrekte Bezeichnung, denn natürlich hatte ich keinen Abschluss gemacht. Nun, bei meiner Mutter wurde auch nicht viel verlangt. Sie war bis zuletzt fast ohne Einschränkungen dabei, nur etwas knapp bei Lunge. Sie hatte auch ihren Frieden mit ihrem Schicksal gemacht: „60 glückliche Jahre sind genug.“ Wir fügten den Weinvorräten schweren Schaden zu, alberten herum: „Ich dachte du wolltest mich überleben.“ „Mach ich auch noch, sobald ich das Glas da leer habe.“ Ich verpasste ihr die vom Arzt verordneten Spritzen, diese eher aus psychologischen Gründen, denn als Heilmittel, - schließlich konnte jeder Idiot die rapide Vergrößerung des schwarzen Bereiches in der Lunge auf den Röntgenbildern interpretieren.

Sie hätte keine Angst vor dem Tod, nur vor dem Sterben. 60 glückliche Jahre wären genug, alles prima. Na gut, nicht Alles, aber ausreichend.

Ich konnte das gut verstehen. Ich hatte jahrelanges Sterben im Altersheim erlebt. Ihre Stiefschwägerin Armen wäre zwei Jahre lang komatös gewesen, sie wolle nicht so eine Erinnerung hinterlassen.

Ich stattete dem Labor während der Mittagspause einen Besuch ab. Als Sohn Vom Chef, als 'Patronun O?hlu', durfte ich ALLES! Der Stahlschrank, eher ein Umkleideraum Schließschrank aus Walzblech, sprang auch sofort freiwillig auf, als ich ihn nur einmal scharf ansah.

Kaliumcyanid, so wie es dort rumstand, ist ein hydroskopisches Granulat in 1.000 Gramm Schraubgläsern, allerdings war dieses aus Plastik, ich glaube von Bayer oder Merck, das aber nur, falls jemand die entsprechende Frage stellen sollte.

Das Kaliumsalz der Blausäure rieselt in ein Reagenzglas, Korken drauf und der potentielle Muttermörder schleicht sich wieder, heimlich, still und leise - nööö, ich war nie im Labor.

Wieder in meinem ehemaligen Kinderzimmer fertigte ich mit etwas Feuchtigkeit eine Art langgezogenes Geschoss aus dem Gift an und beschmierte das Teil mit Lippenstift. Dann zeigte ich mein Tagewerk vor: „Das Letzte, was man einer Dame im Krankenhaus weg nimmt sind die Schminkpipapos. Wenn es dir zu dämlich wird, beißt du da einmal rein und versuchst ein wenig davon zu schlucken und dann bist du schneller tot als das Zeugs im Magen landet. Es ist ein Nervengift. Vielleicht erstickt man, ich weiß nicht ob man das bei Bewusstsein erlebt, es liegen keine Erfahrungsberichte von Usern vor.“

Ein dankbarer Blick machte mich zum Helden, nicht eingeschränkt in seinem Handeln durch Moral, Gottesgesetze oder gar Angst vor der Obrigkeit.

Mein Stiefvater ahnte etwas – jemand muss mich wohl beim Betreten des Labors beobachtet haben. Und das bis Dato nicht angebrochene Gefäß hätte natürlich auch zu wüsten Vermitungen Anlass geben können. Aber über so etwas redet man in unseren Kreisen nicht.

Eines Abends stand sie vom Tisch auf und wollte sich etwas früher hinlegen. Ich versorgte sie wie üblich mit Spritzen und Pillen und wir tranken noch eine Flasche Wein gemeinsam. Mein Stiefvater bat mich, für ihn in einem anderen Raum das Bett zu beziehen, er wolle diese Nacht nicht im Ehebett verbringen, ich dachte mir nichts weiter dabei – manchmal hat dieses Genie einfach nur eine lange Leitung. Ich nahm 50 Tropfen Laudanum und zwei Mogadon.

Als ich gegen drei Uhr nach ihr sah, war sie tot. Etwas Schaum in den Mundwinkeln. Zareh kam aus dem Kinderzimmer, ich nahm ihn in den Arm: „Es ist vorbei.“ Er machte sich frei und blickte mich hilflos an. Dann hielten wir Totenwache und unterhielten uns zum ersten Mal auf gleicher Augenhöhe. Er hätte immer gedacht, dass aus mir mal ein Schriftsteller wird. „Warum hast du es denn nicht gesagt?“ „Vielleicht hätte ich dich damit auf eine falsche Fährte geschickt.“

Ab acht Uhr wurde ganz viel telefoniert. Mein großer Bruder wusste genau, weshalb ich anrufe und er rief nun seinerzeit den Halbbruder meiner Mutter an und die Zwei kamen ruckartig eingeflogen. Mein kleiner Halbbruder musste mit einer großzügigen Geste Bakschisch vom Militärdienst beurlaubt und halbseitige Traueranzeigen in die Zeitungen gesetzt werden. Einige Tage später gab es einen ökumenischen Gottesdienst in der überfüllten Armenischen Kirche Nähe Fischmarkt mit Deutschem Pastor (der bekam dafür ein großes Bleiglasfenster restauriert) und armenischem Bischof. Eine kleine Königin wurde geehrt.

Ich stieg wieder in einen Flieger. Manchmal bin ich froh, das Zyankali nicht gebraucht zu haben und manchmal bedauere ich, das Reagenzglas in der Türkei gelassen zu haben. Für den Notfall …

Mein großer Bruder hat dann hinter mir aufgeräumt. Er meinte, Zyankali gehöre nicht in den Bücherschrank.


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Karl Ludwig  
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RE: Zum Tode meiner Mutter 1985

#2 von Sirius , 06.09.2016 19:48

Bei deinem flotten Schreibstil merkt man kaum, dass es eine sehr traurige Geschichte ist, Karl-Ludwig. Aber das Leiden und die Trauer aller Beteiligten wird sichtbar aus den Zeilen, das wirkliche Grauen liegt aber wohl in den Details.
Auch wenn es 1985 war, ist man doch versucht, mit dir mitzufühlen, weil die Geschichte beim Lesen wieder real wird.
Danke dafür.

Sirius


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RE: Zum Tode meiner Mutter 1985

#3 von Letreo71 , 06.09.2016 22:19

Hallo Karl-Ludwig, auf eine tragisch-komische Art und Weise schilderst du uns hier eine sehr persönliche Geschichte.
Bei aller Traurigkeit erkenne ich als Leser eine sehr herzliche Verbundenheit.

Danke fürs Teilhaben und alles Liebe dir

Leo


Schreiben macht schön.

 
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