Tatiana Tibuleac: Der wütende Junge und der Tod
Tatiana Tibuleacs Debütroman „Der Sommer, als Mutter grüne Augen hatte“ ist schwer beladen, hat aber auch viel zu bieten.
Den Tod an die Wand zu reden und damit zumindest aufzuhalten, hat eine lange Tradition. Scheherazade bot das auf höchstem Niveau, aber es gibt auch all die Western, in denen man als beste Freundin des schlimmen Fingers diesen davor warnen müsste, dem Helden auch nur zwei Sekunden zuzuhören. Das Gute kann doch nur siegen, weil das Böse sich noch auf ein paar Worte eingelassen hat. Auch der schmale Roman „Der Sommer, als Mutter grüne Augen hatte“ spielt auf seine Weise eine Variante des Themas durch. Das Schlimme ist in diesem Fall bereits geschehen, aber der Erzähler erzählt kräftig dagegen an, es auch uns mitzuteilen. An den entscheidenden Punkt zu kommen, an die entscheidenden Punkte. Mehr als ein Unheil ist geschehen.
Die Autorin Tatiana Tibuleac, 1978 in Chisinau (heute Moldawien) geboren, lebt seit 13 Jahren in Paris, hat ihren Debütroman aber auf Rumänisch geschrieben. Darum ist die schöne deutsche Fassung von Ernest Wichner, der Tibuleac’ bilderreiche Sprache – die bilderreiche Sprache des Erzählers – so geglückt angefertigt hat, dass das Übersetzte daran nicht mehr zu spüren ist. Zwar hat der Erzähler die Bilder stets zur Hand, aber sie sind wirklich treffend. Er löst sein Gesicht von der Fensterscheibe wie ein verbrauchtes Abziehbild. Sie geht an ihm wie an einer Pfütze vorbei. Er schmiegt sich an sie wie eine Wunde ans Pflaster. Das Kind lacht wie ein an den Fußsohlen gekitzelter Regenbogen.
Er ist der Sohn, sie ist die Mutter. Das Kind ist vor vielen Jahren gestorben, seine kleine Schwester, ein Unglück, das die Mutter nicht verkraftet hat. Er kann das nachvollziehen. „Aber für mich wäre es schön gewesen, wenn Mutter sich auch einmal an mich erinnert hätte, an ihr anderes Kind ... .“ Daher seine Wut, eine sorgfältig gehegte Wut mit einem langen Atem, der den Erzähler offenbar durch sein Leben zwischen Kindheit und Schulabschluss getragen hat. Einer Wut, die auch den Tod wünscht, den eigenen oder den der anderen Person. Jetzt aber, in der Zeit, von der er erzählen will und die ebenfalls inzwischen schon lange zurückliegt, überredet ihn die Mutter, mit ihm einen Sommer in Frankreich zu verbringen. Am Ende des Sommers wird sie an Krebs gestorben sein.
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