Sophie Hardach: Unser geteilter Sommer
Sollten Sie beschlossen haben, keine Romane mehr mit Familiengeheimnissen zu lesen, machen Sie hier eine Ausnahme. Dieser "geteilte Sommer" ist etwas ganz Besonderes.
Die Journalistin Sophie Hardach ist 1979 in Deutschland geboren und lebt mit ihrer Familie in London. Einen Roman, der von einer Kindheit in Ostdeutschland erzählt, hat sie auf Englisch mit dem Titel "Confession with Blue Horses" geschrieben. Ein Bild mit blauen Pferden spielt in dem Roman eine Rolle. Jetzt erscheint der Roman auf Deutsch - in der Übersetzung von der Schriftstellerin Ulrike Sterblich, die zu diesen Themen auch schon eigene Bücher veröffentlicht hat.
Der deutsche Titel ist vermutlich eine Anspielung auf Christa Wolfs Erzählung "Der geteilte Himmel", die in den 60er-Jahren in Ost-Berlin spielt. Christa Wolf kommt in diesem Roman auch vor:
"Da ist noch Ihre Täterakte." Der Archivar holte eine separate Akte mit Berichten für die Stasi herbei und sagte leise: "Das ist doch Ihre Handschrift, nicht wahr?" (…) Und es war ihre Handschrift. Es war Christa Wolf gewesen, die einige Jahrzehnte zuvor für die Stasi diese Berichte über ihre Kollegen geschrieben hatte. Sie war bespitzelt worden und hatte andere bespitzelt. "Das hatte ich vollkommen vergessen", sagte sie.
Die Ich-Erzählerin Ella in dem Roman "Unser geteilter Sommer" versucht ebenfalls, Täterakten zu den Umständen der gescheiterten Flucht aus der DDR ihrer Eltern zu finden. Dazu ist sie aus London, wo sie seit etlichen Jahren lebt, nach Deutschland zurückgekehrt. Sie freundet sich mit einem Archivar an, der geschredderte Unterlagen rekonstruiert. Sie selbst erinnert sich, wie es war, als sie mit acht Jahren von den Eltern mitgenommen wurde. Ella und ihre beiden kleineren Brüder waren im Sommer 1987 dabei, als sie versuchten, über die ungarische Grenze zu fliehen. Offenbar hatte sie jemand verraten. Der Vater wurde von Grenzsoldaten erschossen, die Mutter wurde verhaftet, dann verurteilt und kam ins Gefängnis. Ella und ihr kleiner Bruder Tobi wurden zur Oma gebracht und der kleine Heiko, ein damals zweijähriger kleiner Bursche, in den alle verliebt waren, wurde der Mutter weggenommen. Man verheimlichte ihr, wohin er kam.
Die linientreue Oma, eine KZ-Überlebende, war außer sich und Ella hörte nachts, wie sie mit Opa Horst darüber sprach:
Ich lasse mich von denen nicht einschüchtern" (…) Ich sage dir, meine Parteifreunde wären entsetzt, wenn sie das alles wüssten. Das ist einfach irgendein Abschaum, der sich hier so was mit uns erlaubt. Ich werde mich beschweren, Horst. Ich lasse mir das nicht bieten, ich sorge dafür, dass die zur Ordnung gerufen werden." "Du meinst, in der Partei weiß man nichts davon? Das ist die Partei, Trude."Leseprobe
Nach dem Fall der Mauer gab es angeblich nirgendwo einen Hinweis, wohin man den kleinen Heiko gegeben hatte. Kurz vor ihrem Tod hat die Mutter ihre Tochter gebeten, nicht mehr nach ihm zu suchen. Offenbar wusste sie, dass es ihm gut ging in einer Pflegefamilie und dass er sich an sein Leben davor einfach nicht mehr erinnern kann.
Sophie Hardach erzählt von der verzweifelten Suche ihrer Heldin nach dem Menschen, der sie damals verraten haben muss. Einerseits möchte sie die guten Erinnerungen an eine behütete Kindheit, die es auch gibt, bewahren, aber ebenso intensiv will sie die Wahrheit herausfinden. Das ist außerordentlich bewegend, zart und behutsam erzählt. Sollten Sie beschlossen haben, keine Romane mehr mit Familiengeheimnissen zu lesen, machen Sie hier eine Ausnahme. Dieser "geteilte Sommer" ist etwas ganz Besonderes.
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