Miku Sophie : Kintsugi
Miku Sophie Kühmel versucht den Familienroman für alle, doch ihr fehlen die Worte
Gegenwartsliteratur, das Wort kann zweierlei bedeuten. Dass Literatur aktuell ist, jetzt gerade verfasst wurde, womit sie zwangsläufig auch etwas über unsere Zeit aussagt. Oder dass Literatur die Gegenwart selbst zum Thema macht, sie in den Blick nimmt, einen bislang vernachlässigten Ausschnitt vergrößert, damit wir die Welt danach klarer sehen: Realismus findet Realität.
Diesem Ansatz folgt die 1992 in Gotha geborene Autorin Miku Sophie Kühmel mit ihrem Debüt, das sowohl auf der Longlist des Deutschen Buchpreises steht als auch auf der Shortlist des aspekte-Literaturpreises. Kintsugi heißt ihr Roman, das japanische Wort bezeichnet das Kunsthandwerk, zerbrochenes Porzellan mit Gold zu überziehen.
Der Bezug ist eher locker, eine Metapher für gefährdete Liebesverhältnisse, prekäre Verbindungen in literarisch noch nicht erschlossenen Gebieten. Kühmel antwortet auf die Frage zum Zustand von Beziehung und Familie in der Zeit nach der Hegemonie der Heteronormativität. Eine gute Idee, ein interessantes Vorhaben. Nach der Ehe für alle kommt nun der Familienroman für alle.
Die vier Figuren stehen Modell für zeitgenössische Lebens- und Liebeskonzepte: Reik und Max, beide um die 40, sind seit 20 Jahren ein Paar. Max ist Archäologe, Reik erfolgreicher Künstler. Nach außen wirken sie wie das perfekte Paar, und doch kriselt es gewaltig. Beide befürchten sie, etwas zu verpassen, wenn sie zusammenbleiben: „Ich will Kinder und er die Welt.“
Reik ist nicht der einzige Mann in diesem Roman, dessen Glück vom Nachwuchs abhängt. Tonio, sein Liebhaber aus Jugendtagen, schwängerte blutjung eine Frau und bekniete sie, das Kind auszutragen. Seither zog er Pega alleine auf und ergab sich ganz den Freuden der Vaterschaft: „Eine Rolle, die mir besser passte als jeder meiner Anzüge und alle Polyesterhemden. Ich habe versucht, der Vater zu sein, den ich als Tochter gern gehabt hätte.“
Nun ist Pega erwachsen, was Tonio so gar nicht behagt. „DU HAST KEINEN SEX“, schreit er sie verzweifelt an und beschwört die Zeit, als sie noch süß und hilflos war: „Aber, du bist doch noch vier.“ Miku Sophie Kühmel geht es in ihrem Roman nicht zuletzt um das Porträt einer neuen Männlichkeit. Die Herren sind hier alle homo- oder wenigstens bisexuell, was sie aber nicht davon abhält – das scheint die Pointe zu sein –, eher traditionelle Vorstellungen eines gelungenen Lebens zu haben. Einen konservativen Leser könnte dieses Buch beruhigen: Keine Angst, die Schwulen sind mindestens genauso spießig wie du.
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https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/es-nagt-am-ohr
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