Es ist nicht alles Gold, was kittet
Vom Reparieren der Liebe in unterschiedlichsten Formen: Miku Sophie Kühmels Roman „Kintsugi“ ist nicht nur für den Deutschen Buchpreis nominiert, sondern gilt auch als heißester Anwärter auf den Aspekte-Literaturpreis.
Die Scherbe zählt schon immer zu den semiotisch interessantesten Phänomenen des menschlichen Alltags. Selbst dort, wo sie vereinzelt auftritt, bedeutet sie uns, dass es noch mindestens ein anderes von ihr geben müsse. Scherben sind ein Versprechen auf Zweiheit, auf das Komplementäre, sind – um vielleicht allzu didaktisch zu werden – das Symbol aller Symbolik.
Wenn Max, Juniorprofessor für Archäologie an einer Berliner Universität und einer der Protagonisten in Miku Sophie Kühmels Debütroman „Kintsugi“, seinen Studierenden in einer etwas archaisch anmutenden Vorlesungsszene eine zwei Zentimeter breite Tonscherbe als den einzigen Lohn ihrer harten Arbeit anpreist, dann verbirgt sich dahinter folglich mehr als das teutonische Pathos philosophischer Fakultäten. Wer der Scherbe dient, der glaubt daran, dass es Entsprechungen in dieser Welt gibt, ein Ganzes, von dem er oder sie selbst nur ein Teil ist. So erzählt man Liebe.
Kühmels Roman, sowohl für den Deutschen Buchpreis nominiert als auch der wohl heißeste Anwärter für den Aspekte-Literaturpreis, lebt vom Spiel mit den Scherben. Heimlich, ohne es zu ahnen, sind seine vier Figuren verbunden durch eine japanische Teetasse, die immer wieder von neuem zu Bruch geht und immer wieder von neuem – aber immer durch jemand anderen – zusammengeklebt wird. Die Liebenden einen die Risse, die sie voreinander verheimlichen, die sich aber durch ihr aller Leben ziehen, in feinen Verästelungen noch die Zimmerdecke des Wochenendhauses verzieren, unter der sie sich begegnen.
„Sie“, das sind Max und sein Lebensgefährte Reik – ein gut gehandelter Künstler –, Reiks erste Liebe Tonio sowie Tonios Tochter Pega. Jede dieser Figuren darf einmal vom Leben in der Scherbenwelt erzählen, und es versteht sich von selbst, dass es dabei stets um Vertrauen und Misstrauen gehen wird, um die stillen, kaum wahrnehmbaren Übergänge von Freundschaft und Leidenschaft, um Eifersucht – und Lust.
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