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RE: A day in my life

#1 von Karl Ludwig , 30.10.2016 08:15

(Theaterstück mit einer Person und ohne Zuschauer)

Endlich hebt sich der Vorhang. Ein Spottlicht dimerisiert sich und beleuchtet kegelförmig einen Haufen Klamotten mit Kopf und Armen, der bequem auf einem Sofa hingestreckt mit hochgelegten Füßen ins Publikum blinzelt und dabei vernehmlich ein (Ihr wisst schon, so ein Theatermurmeln bis zur Empore): "Oh nein, nicht schon wieder." von sich gibt, während das Orchester ihre letzten Synchronisierungen beendet. Kurze Stille und dann klagt ein Cello verloren an:

"I'm dreaming my life away..."

Auf dem Tischchen vor dem Sofa steht eine Wasserpfeife, im ungelesenen Pflichtenheft als Requisit: 'Blubber' bezeichnet. Die Gestalt richtet sich auf, mühsam wie es scheint. Langsam wird es auf dem Rest der Bühne heller und man erkennt ein messikeskes Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer. Nein, 'kreatives Durcheinander' wäre gelogen, 'unaufgeräumt' nicht ausreichend aussagestark, 'zugeschlampt' nur ungenügend umfassend, denn hier waltet hemmungslos das Chaos und es ist auch nicht auszuschließen, dass sich in den Wäschebergen spontanes Leben entwickelt. Das Orchester teilt mit, dass es diese Meinung teilt und zwar lautstark und mit einigen Takten aus der Pathetique.

Die Gestalt hustet hingebungsvoll, stopft sich ein Pfeifchen, raucht, hustet noch hingebungsvoller und gesteht zu einer Orchesterversion von Radioheads Creep: "Ich bin ein Penner. Sozialschmarotzer. Nichtsnutz. Faulpelz. (modern: Hedonist). Doch, doch, bin ich. Ehrlich! Damit kann ich wunderbar leben und wer das nicht kann, sollte sich sofort verpissen."

Das ist natürlich nicht nur stark postmodern provokativ, sondern auch prätraditionell feige, schließlich sitzt da kein einziger Zuschauer. Säßen da allerdings einige betrunkene Rocker, würde er den Text sofort modifizieren, egal ob Manuskript ... und überhaupt, wo ist das überhaupt?

"Ich habe nämlich vor, in diesem 'Stück für einen Deutschen Penner' meine Ausreden vorzustellen."

Das Orchester verlässt unauffällig den Graben und die Musiker sind froh, nicht mehr benötigt zu werden. Die Gestalt auf der Bühne schlurft zum PC und schiebt eine Raubkopie von Jeff Becks Live at Ronnie Scotts in den Rechner.

"Mein Leben ist strukturiert. Getreu der Devise: Ein sich selbst organisierender Organismus stellt zu allererst sein eigenes Überleben sicher. Das ist keine besonders große Herausforderung, wenn man, wie ich, hemmungslos unsere Solidargemeinschaft mit der Begründung ausnutzt: Besser ich verarsche, als dass ich mich verarschen lasse. Warum bis zum 'Burn-out' hektische Schwimmübungen abhalten, wenn doch überall aufgeblasene Luftmatratzen rum liegen?

Außerdem kann ich darauf verweisen, dass ich bei meiner subversiv-kriminellen Veranlagung eigentlich ins Gefängnis gehöre, was aber dieser Gesellschaft noch teurer zu stehen käme: Ein Gefangener kostet den Steuerzahlern 202,70 € pro Tag.

Womit meine Affinität zu Drogenmissbrauch entschuldigt wäre. Solange ich aufpasse und dafür nicht ins Gefängnis gehe, bin ich sozial, denn dann koste ich nur 24,00 €. Und als bekennender Kiffer bin ich eh nicht vermittelbar. Da ich als Abteilungsleiter geführt werde, klappt das schon seit 40 Jahren (mit Unterbrechungen, wenn mich zwischendurch mal dieser widerliche Ehrgeiz packte und ich mir etwas beweisen wollte) - nein, ich schäme mich nicht vor Euch - viel schlimmer, manchmal schäme ich mich vor mir selber und anschließend schäme ich mich dafür, mich geschämt zu haben. Nur damit Ihr auch wisst, mit was für Problemen ich so zu kämpfen habe...

Wie also sieht mein typischer Tag aus: Aufstehen, im Winter Heizkörper aufdrehen, Musik anstellen, Kaffee, Klo, zu Ende anziehen, noch'n Kaffee und heftigst hustend das erste Kawumm. Flach auf mein Lieblingssofa (davon besitze ich drei Stück) legen und eine 'To do Liste' anfertigen. Ich bin bemüht sämtliche Aktionen, bei denen ich die Puschen aus- und die Straßenschuhe anziehen muss, auf den Vormittag zu legen. Was liegt heute an? Arzt? Bürokratie? Einkauf?

Nix! Alles schon gestern in einer Gewaltaktion von immerhin einskommafünf Stunden erledigt. Und morgen brauche ich auch nix, ja, die Vorräte reichen sogar bis übers Wochenende.

Das gibt mir schon mal, in Kombination mit THC, ein beruhigendes Gefühl. Nein, heute keine Termine. Wunderbar. Das Leben ist herrlich, wenn man völlig verantwortungslos mit der Zeit umzugehen gelernt hat (Von wegen! Zeit sei Geld! Pah!), wenig Bedürfnisse hat und ein sonniges Gemüth. Meine Energiebilanz ist auch beachtenswert, ich habe nämlich nachgerechnet und sämtliche mir bekannten Tricks der Statistik angewandt: 18,2 Typen so wie ich belasten die Umwelt ähnlich stark, wie nur ein Einziger von Euch!"

Die Gestalt zeigt anklagend (mit Mittelfinger) in den Zuschauerraum, beeindruckt allerdings mangels Zuschauer kaum jemanden, noch nicht einmal sich selber.

"Ich ziehe mir dennoch kurzfristig andere Schuhe an, lustwandele zur Werkstatt und rahme eine selbstradierte Skitze mit Bambus ein, was übrigens nicht gerade einfach ist. Dauert auch glatte drei Stunden. Alles mit Klarlack übersprühen. Kurzer Gang durch den Garten, ja, die Papavaria und die 'Deutsche Hecke' kommen gut. Einige schleimende Kriechetwas erlernen nicht schnell genug das Fliegen, als ich sie aufklaube und weit weg werfe. Soviel zur Evolution.

Auf dem Rückweg hole ich die getrocknete Radierung eines (selbstverständlich nackt) tanzenden Mädchens aus dem Lackierraum und drücke sie einem, vor der Tür Zigarette rauchenden Nachbarn, in die Hand: "Da! Du fandest doch diese Studie von mir damals recht hübsch. Als Dank für die stationäre Behandlung meines Rechners." Er blickt baff, nicht unerfreut. Schmunzelnd ziehe ich weiter. Ach ja, die gute Tat erfüllt die Seele doch mit erhabenen Gefühlen, gelle?"

Aber nun ist es gerade mal 12.00 Uhr Mittag. Und alles erledigt - na ja, da wäre noch Toilette putzen, Waschmaschine füttern, Abwasch, Kochen …

Ach, das kann ich alles, bis aufs Kochen, auf Morgen verschieben. Nee, noch besser, auf Übermorgen, schließlich kommt es nach Wochen nicht mehr auf einen Tag mehr oder weniger an. Vielleicht ab Montag? Egal, darüber werde ich ab Dienstag nachdenken.

Nun habe ich erreicht, was ich wollte. Nix zu tun - um Himmels willen, was mache ich nun? Ich meine, außer noch Einen Durchzuziehen?

Schreib es auf?

Tu ich doch ständig!

Vorhang!


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RE: A day in my life

#2 von BABS the SPECIAL ONE , 30.10.2016 10:29

Ein wundervoller Monolog in dieser Personality-Show. Eine Schutenpenner-Ode vom Feinsten. Darauf einen dreifachen Salamander!!!!
Ergebenst grüßt
Babsi


Was kostet die Welt - Ich nehm zwei.

 
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RE: A day in my life

#3 von Karl Ludwig , 30.10.2016 11:12

Knicks.

Das ist natürlich total übertrieben. Aber leben wir nicht sogar ein wenig besser mit den Übertreibungen? Ich übertreibe am liebsten meine Faulheit, weil das so herrlich politisch unkorrekt rüber wächst.

Ich bekomme immerhin 5,78 € Rente, also MUSS ich schon mal versicherungspflichtig gearbeitet haben.


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RE: A day in my life

#4 von Jonny , 30.10.2016 15:15

Also, ich bin hier gerne Zuschauer...
Und wie ich sehe, kann man einen Teil des Tages auch ohne der Uhr im Nacken, auf dem Sofa verbringen.
Das gefällt mir.
Weil ich auch gerne faulenze, wenn ich wie heute die Zeit dafür habe.
Mir gefällt dieser Ausflug in ein ruhiges, tiefenentspanntes Leben.

Hab ich wieder gern gelesen!
Jonny

 
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RE: A day in my life

#5 von Sirius , 02.11.2016 19:31

Nur vom Monolog her ist das eher ein Kurzauftritt, und ich hege den Verdacht, dass du nur eine fiktive Person brauchtest, der du deinen Wochenbericht über deine Tätigkeiten unterjubeln konntest.
Außerdem kommen weder Drogen noch deine..äh..Bekannte vor, nicht mal dein Spezialpesto.
Alles in Allem kann ich kein Wort in der Story finden, das nicht autobíographisch wäre, meine Schlechtigkeit natürlich vorausgesetzt, aber die spendiere ich gerne mal.
Aber letztendlich wollen wir doch alle nur unterhalten werden, da ist es doch wurscht, wenn einer mal die Wahrheit sagt.
Stänkermödus aus. Ist doch gut geworden.

Sirius


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RE: A day in my life

#6 von Karl Ludwig , 30.03.2017 08:39

Manchmal wühle ich in meinen Beiträgen und staune selber. Ich habe das geschrieben, ich, diese seltsame Solidargemeinschaft von sorgfältig austarierten Elementen wie Pilzen, Viren, Bakterien, Moos und Flechten (im Hirn) und, ach ja, einigen menschlichen Zellen, ungefähr 10 %, wobei ich nicht übersehen darf, dass diese im Kern ein Genom mit sich schleppen, welches sich bloß marginal von dem eines Regenwurmes unterscheidet.

Bewusstsein. Ich soll ja eins haben. Irgendwie muss ich mich doch von den anderen Arten abheben. Nur, wenn ich mein Leben analysiere, komme ich zu dem Ergebnis, immer bloß Zuschauer gewesen zu sein, der hinterher nach Ausreden suchte. Gesteuert von Reflexen und biochemischen Prozessen, die weniger dem Willen, denn den Instinkten gehorchen. Und natürlich den Konditionierungen, sprich Vorurteilen, welche ich auch nicht im Griff habe. Nix da 'Herr seines Lebens'.

Seit dem Aufstehen vor ca. drei Stunden habe ich: 12.500 mal Blut gepumpt, immerhin schon 1.200 Liter. 3.000 mal geblinzelt, ein ganzes Pfund Magensäure produziert, ein halbes Speichel, ganz viel Pipi- und Kakapfui entsorgt, über Tausendmal nach Luft geschnappt, bin mindestens 500 Meter zwischen Küche, Bett, Sofa, Rechner hin und her gelaufen, - und -, Moment, habe genau 1.322 Zeichen in die Tastatur gehämmert.

Mensch, Leute, mir reicht's!


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RE: A day in my life

#7 von Sirius , 30.03.2017 20:30

Ja, ich verstehe, dass Du davon schon vor dem Frühstück kaputt bist, Karl Ludwig.
Ich bin echt beeindruckt. Hast du denn sonst noch Hobbys, außer Luft schnappen und Blut pumpen?


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