Die Schuld von Generationen
Der Meeresspiegel steigt, das Land verlässt die EU, elend ist das Los der illegalen Immigranten: John Lanchester verknüpft in "Die Mauer" Verhängnisse mit einer moralisch erbaulichen Fabel.
Von Thomas Steinfeld
In einer nicht allzu weit entfernten Zukunft, erzählt der Schriftsteller John Lanchester, werde eine Klimakatastrophe über die Erde gekommen sein, in Gestalt eines eher plötzlich eingetretenen "Wandels", der den Meeresspiegel um viele Meter habe ansteigen lassen. Zugleich habe sich eine Insel, die bald als Großbritannien zu erkennen ist, vom Rest einer Welt getrennt, in der ein absoluter Ausnahmezustand zu herrschen scheint. Eine Mauer aus Beton sei deswegen entlang ihrer Küsten errichtet worden, fünf Meter hoch und zehntausend Kilometer lang, Schottland eingeschlossen, Nordirland aber vermutlich nicht. Innerhalb des so eingefriedeten Territoriums gingen, so John Lanchester, gewöhnliche und offenbar gänzlich unpolitische Briten ihren gewöhnlichen Tätigkeiten nach, ohne jede Kenntnis dessen, was jenseits der Grenze geschehe, während die Mauer von einer Armee aus Dienstverpflichteten bewacht werde. Ihre Aufgabe sei es, jeden "Anderen", der, über das Meer kommend, in das Land der Briten einzudringen versuche, an seiner Tat zu hindern und ihn gegebenenfalls zu töten. Barbaren, die dennoch durchkommen, haben die Wahl, sich versklaven zu lassen.
Dunkel drohend ist die Zukunft, die John Lanchester in seinem Roman "Die Mauer" entwirft, aber es ist, als könnte es ihm gar nicht genug Bedrohung geben. Gleich drei Verhängnisse türmt er übereinander: das Ansteigen des Meeresspiegels, den Abschied des Landes aus der Europäischen Union und das Elend der illegalen Immigranten.
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