Journalismus für die Mächtigen
Der mediale Mainstream hat sich auf das Stichwort von der BMW-Kollektivierung in Kevin Kühnerts Interview mit der ZEIT gestürzt (Eigentum an Haus und Grund ist kapitalistische Ideologie). Die Skandalisierung trug erwartbare Früchtchen: Kevin-Witzchen und Studienabbrecher-Vorwürfe - auf Social-Media oder im Telepolis-Forum stellen viele Mitbürger ihre Halsstarrigkeit zur Schau.
Das wäre kein weiteres Wort wert, griffen die Medien nicht begierig jede Art von Denkverweigerung auf, um tagelang mit minimalem Aufwand Erregung zu simulieren. Und weil das leider keine Ausnahme ist, sondern eine Skandalisierung die nächste jagt, muss man sich fragen, ob sich der Journalismus selbst abschaffen will. Eine Medienpolemik.
Jede mediale Inszenierung eines Skandals beginnt mit Nacherzählungen. Sie sind notwendig, wenn man am Skandalgewinn beteiligt sein möchte. Informationswert hat das Ganze nicht: Die ZEIT verkauft etwa eine halbe Millionen Exemplare von jeder Ausgabe. Das ist genügend, um interessante Gespräche zu starten. Wie schön, wenn man mit Arbeitskollegen oder Nachbarn mal etwas Neues austauschen kann. Und wenn sich aus kleinen gesellschaftlichen Gesprächen tatsächlich irgendetwas Relevantes ergibt, dann werden es die Medien schon mitbekommen und können davon berichten.
Zu allem Überfluss stand das Interview mit Kevin Kühnert aber auch online, frei zugänglich. Das sollte in unserer vernetzten Welt nun wirklich genügen. Aber dann wäre natürlich kein Skandal entstanden, und Spiegel, Welt, Süddeutsche, Handelsblatt, Tagesschau und all die anderen hätten an irgendwelchen eigenen Geschichten basteln müssen. Daher das Genre Nacherzählung: Mach einen Beitrag, indem du schon möglichst skandalträchtig und daher keinesfalls richtig zusammenfasst, was jeder Interessierte mit einem Linkklick korrekt lesen könnte. Es ist nichts anderes als der Klatsch und Tratsch des Volkes, der dort allerdings nicht gewerblich, sondern rein als Teil sozialer Interaktion produziert wird. Längst haben dieses Feld nicht nur die Boulevardmedien professionalisiert. Das Unglück nimmt seinen Lauf.
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