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Die Verrottung

#1 von Karl Ludwig , 21.01.2020 18:00

Als Kind hasste ich den Geruch im Schlafzimmer meiner Großeltern. Irgendwie säuerlich, nach kaltem Schweiß, Aceton und Kohl.

Diesen Geruch nehme ich nun an mir selber wahr.

Als Kind hasste ich diese Gespräche unter den Alten, in denen es immer nur darum ging, was alles keinen Spaß mehr macht, wegen den Weh-Wehchen hier und da und was oben rein bzw. unten wieder raus kommt.

Meine Gedanken und zwangsläufigen Gespräche laufen inzwischen auch bloß darauf hinaus, wo ich überall lästigen Einschränkungen unterworfen bin. Ganz abgesehen davon, dass ich heute nur Reis mit roten Linsen vertrug. Was meine Verdauung damit anstellt, ist bestimmt nicht lustig und außerdem erst morgen kein Thema, das in ein Literaturforum gehört.

Als Kind hasste ich es, den Erinnerungen der Alten zum x'ten mal lauschen zu müssen.

Inzwischen lebe ich selber mehr in einer Vergangenheit, wo tatsächlich alles besser war als heute.

Als Kind hasste ich es, meine Lautstärke mindern zu müssen, weil es Opa doch belästigen könnte.

Heute könnte ich Morde begehen, wenn die blöde Brut stört.

Wir, inzwischen Alten, leiden in direkter Folge unter der ganz gemeinen allgemeinen Evolution. Nicht nur, dass wir für die Fortpflanzung uninteressant geworden sind und die Evolution sich nun keine Mühe mehr gibt, einem das Leben gegen Ende hin etwas angenehmer zu gestalten. Das ist ja anundfürsich schon schlimm genug. Sondern, dass wir auch für die Mitmenschen und Leute, also die Gesellschaft, welche auch nach evolutionären Prinzipien funktioniert, genau so unwichtig werden, wurmt doch enorm. Wir mischen nicht mehr mit. Entweder haben wir unser Schäfchen im Trockenen oder nicht. Haben wir es, sind wir interessant für Lebenversicherungsvertreter und Telefontrickbetrüger. Haben wir es nicht, so wie ich, schnüffeln die zuständigen Behörden noch nicht mal mehr im Handyspeicher herum. Wir werden schlichtweg nicht mehr wahrgenommen.


Hatte mir alles ganz anders gedacht:
Alt werden, weise und zwar in Würde.
Dann hab ich wohl was falsch gemacht,
bin voll belämmert aufgewacht:
Ich wurd nur langsam lahm und mürbe.

Der Fisch stinkt vom Kopf her …
Menschen können das auch!
Meine Worte stinken sehr,
- die Gedanken noch viel mehr.
Das ist alter Altersbrauch.

Nehmt die Worte hier als Mahnung:
Tödlich ist's Leben, doch zuvor
hört man selten eine Warnung.
Ach, ich hatte keine Ahnung,
komm mir pleonastisch vor.

Selbst wenn ich obiges Gedicht zur Höchstform feilen sollte, handelt es sich nur um Wartezimmermusik:

Wir werden alt. Und noch älter.
Heißes Blut wird immer kälter,
und die Fresse sehr entstellter.
Hoppe hoppe und dann fällt er.

Mir ist danach, nie wieder etwas zu schreiben. Aus Trotz!


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RE: Die Verrottung

#2 von Sirius , 21.01.2020 20:24

Im Alter kehrt auch der Trotz zurück, den wir als Kind hatten.
Und nur in der Vergangenheit leben ist auch keine Lösung. Dass ich unbeachtet bleibe, empfinde ich für mich als Wohltat, den Schnüfflern kann man trotzdem nicht entkommen.
Und dein Gedicht ist auch ganz passabel. Schreiben ist dir einfach gegeben. Es ist auf jeden Fall sinnvoller, als nur auf den Tod zu warten.
Ich wünsche dir viel Optimismus, Karl-Ludwig, und noch viele gelungene Zeilen wie diese.

Sirius


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RE: Die Verrottung

#3 von weegee , 21.01.2020 20:53

Ich war am Wochenende in der Elbphilharmonie bei einem Konzert mit Klaus von Dohnanyi. Der ist 90. Ich wollte die Legende unbedingt noch einmal lebend sehen. NEUNZIG! Und dirigiert wie der Leibhaftige. Der riecht bestimmt nicht nach Kohl und Säuernis. Merke: Willst du quicklebendig im Alter sein, gebe niemals den Taktstock aus der Hand! (Genug Geld hilft da bestimmt auch.)

Ach, ja, Karl Ludwig: Im Gegensatz zu den damals Alten hast Du niemals so eine feldgraue Uniform mit abartigen Zeichen drauf angehabt und hast niemals, freudig oder nicht so freudig, Volksfeinde umgebracht. Das war vielleicht mit ein Grund für die Säuernis der damals Alten.

Guuuuter Text!

LG, Jörn.


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RE: Die Verrottung

#4 von Karl Ludwig , 22.01.2020 09:14

Es stimmt Weegee, ich habe nie echte Not kennengelernt und auch keine Kriege erlebt. Ich bin in diesem Sinn also kein Täter, allerdings genau so wenig ein Opfer. Ich bin Beobachter, ein Tourist, der Albträume bekommt, wenn er vor dem Schlafengehen etwas über den 'Großen' Alexander liest. Und über dessen Mutter, Olympias von Epirus, welche seine letzte Ehefrau bei lebendigem Leibe zu Tode rösten ließ. Das habe ich nun davon, wenn mir die Gegenwart zu brutal vorkommt.

Ich stinke dennoch! Und ich schaffe es auch nicht, mir irgend etwas Positives vorzustellen: Mein mir bester Freund entpuppt sich als ein Feind, der mich um lächerliche Beträge bescheißt und hinter meinem Rücken viel 'Schlecht-Sprechen' praktiziert. Ohne Schmerzmittel passiert sowieso gar nichts und die sind immer alle alle. Jedwelche zu erledigende Dinge knappen nur klapp, wenn überhaupt. Geld ist täglich ein Problem, dabei hatte ich mich doch einst dem Erfolg verweigert, (oder umgekehrt) um nicht ständig darüber nachdenken zu müssen. Ich muss jeden längeren Bummel vorher mit dreistündigem Trinkverzicht einleiten, um nicht alle zehn Meter eine Toilette zu suchen. Selbst der Gang zum Briefkasten ist stöhnend anstrengend. Die Erleuchtungen treiben sich woanders herum, genau so wie die leckeren jungen Dinger, mit denen ich eh nichts anzufangen wüsste. Und jetzt wird es unappetitlich: Ich bekomme das Arschloch nicht mehr sauber. Weder mit Waschen, noch mit Wischen. Abends sieht meine Unterhose aus, als ob ich meine Tage hätte. Berühmter Schriftsteller hat auch nicht geklappt, gut dass meine Mutter das nicht mehr miterleben musste. Und dass mein Stiefvater nach ihrem Tod sich dahingehend äußerte, von wegen er hätte immer gedacht, aus mir würde ein berühmter Schriftsteller, hat es bestimmt nicht verbessert. Die Augen tränen und brennen wenn ich lese – selbst mit Brille. Im Mund bilden sich häufig Pusseln. Irgendetwas tut immer weh. Nachts wache ich häufig völlig verschwitzt wegen Wadenkrämpfen auf. Oder Harndrang. Oder Bauchschmerzen. Oder überflüssigen Sorgen, weil ja doch alles ganz anders kommt.

Sich unter diesen Umständen ein sonniges Gemüth zu bewahren ist verdammt schwer. Gottchen, es ist erst 9.00 Uhr und ich bin schon total im Eimer.


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RE: Die Verrottung

#5 von weegee , 22.01.2020 21:02

Ohgottogottogottogottogott! Ich hatte ja keine Ahnung, dass es soooo schlimm steht. Das hat tatsächlich was von Verrottung. In schallah. Also ich würde, in deinem Zustand, großflächig Drogen nehmen. Oder / und darüber schreiben. Sonnige Gemüter sind stinklangweilig. Nach 2 Minuten. Worüber wollen die denn denken? Worüber wollen die denn reden und schreiben? So - "Ach, wie scheint mir heute wieder die Sonne aus dem Arsch!" - innteressiert doch keinen. Dann doch lieber deine Unterhosen.

LG, Jörn


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RE: Die Verrottung

#6 von Sirius , 22.01.2020 21:02

Oh, Mist, Karl-Ludwig, das ist wirklich nichts Erfreuliches. Ich verstehe, dass du da depremiert bist. Ich denke, dass du mehr ärztliche Hilfe benötigst, als du bekommst. Und du hast es wirklich nicht leicht, optimistisch zu sein.
Das tut mir alles sehr leid, dass du all diese Probleme hast! Ich fühle mit dir!

Sirius


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RE: Die Verrottung

#7 von weegee , 22.01.2020 21:03

Ach, so -- Karl Ludwig, bist du sicher, dass du nicht Charles Bukowski bist?


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RE: Die Verrottung

#8 von weegee , 22.01.2020 21:04

Oder Tom Waits? Hey, Leute, bei uns im Forum schreibt der geniale, hochverehrte TOM WAITS!


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RE: Die Verrottung

#9 von Karl Ludwig , 23.01.2020 07:06

Ihr seid echt niedlich und Tom Waits singt ja tatsächlich so, als ob er die Stimmbänder im Hintern hätte. Aber Buck? Dessen Masche beherrsche ich nicht auf Dauer: Aus Schleim und Sexus ist der Mensch gemacht.

Ich hatte einst einen verdammt guten Arzt, doch der wollte mich nach einem Krankenhausbericht nicht mehr behandeln. Da stand nämlich drinnen, dass ich zusätzlich neben seinen Schmerzmitteln äußerst wüst rumgeast hätte. Nun habe ich eine inkompetente Ärztin, aber von der lasse ich mich bitte nicht untersuchen, und der kann ich manchmal etwas Tillidin aus dem Kreuz leiern. Ansonsten versorgen mich einige Geländemitbewohner mit Novaminsulfon und Ibuprophen, das sind eher Placebos.

Vor geraumer Zeit schenkte mir jemand sogar echtes Morphium. Davon wurde ich total beschwerdenfrei und äußerst fröhlich. Leider hat der selber inzwischen kaum mehr genug für sich selber. Vermutlich denken die Ärzte: Schmerz adelt, oder: Bringt Erlösung vom Karma, oder: Der ist doch erst 70, der könnte süchtig werden und sich die Zukunft versaubeuteln.

So! Nun ist meine Verrottung aber genügend thematisiert. Demnächst wieder Lustiges.


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zuletzt bearbeitet 23.01.2020 | Top

   

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